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Literatur-Debüt  Christian Kunert: Frühere Renft-Sänger debütiert als Erzähler

Von Steffen Könau 10.02.2017, 09:18
Mit dem Dichter und Sänger Gerulf Pannach (l., hier 1992 in Halle) bildete Christian Kunert ein herausragendes Liedermacher-Duo.
Mit dem Dichter und Sänger Gerulf Pannach (l., hier 1992 in Halle) bildete Christian Kunert ein herausragendes Liedermacher-Duo. Könau

Halle (Saale) - Es geht hier nicht um Musik, und es geht auch nicht um die Aufarbeitung einer Biografie. So naheliegend es wäre, denn der Autor ist nicht irgendeiner, sondern selbst lebende Geschichte. Christian Kunert, 1952 in Leipzig geboren, als Kind im Thomanerchor, mit 19 jüngstes Mitglied der legendären Renft-Combo und mit Mitte 20 dann schon im Berliner Stasi-Knast, dringend verdächtigt der „staatsfeindlichen Hetze“.

Trotzdem: „Ringelbeats“, Kunerts erster Roman, spielt weder im Innenleben einer Rockband noch beschreibt er die Lebensgeschichte des Mannes mit dem Stirnband, der bei Renft mit Stücken wie „Gelbe Straßenbahnballade“ oder „Irgendwann werd’ ich mal“ für die komplizierteren Strukturen zuständig war. Nein, „Ringelbeats“ erzählt von Jacobus Kubisch, einem Clown im Ruhestand, der bei Bier und dem Blick in den Garten genießt, was von Leben und Ruhm übriggeblieben ist.

Zumindest gilt das, bis sich ein Fremder für ihn ausgibt, seltsame Postsendungen eintreffen und sogar ein nie bestelltes Gewächshaus angeliefert wird. Ein Unbekannter, bemerkt der arglose und im Grunde wirklich nur an regelmäßigem Bierkonsum interessierte Kubisch verdutzt, ist dabei, sich seiner Biografie zu bemächtigen.

So ja nun nicht. Christian Kunert, nach seinem Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung gemeinsam mit seinem Liedermacher-Kollegen Gerulf Pannach verhaftet und eingesperrt, erzählt seine Geschichte im selben trockenen Tonfall, in dem er einst gemeinsam mit Pannach Songs wie „Sonne wie ein Clown“ oder „Pretty Woman, guck nicht so“ sang. Liebevoll malt er die Kulisse der Kleinstadt und dazu die stillen Wonnen des Ruhestandes weit weg vom Publikum aus. Bittersüße Erinnerungen: „Das wilde Leben auf der Bühne, es war ein himmlischer Zeitvertreib“, lässt Kunert seinen Clown sinnieren, denn der „hat die Süßigkeiten, die es abwarf, genossen.“ Doch jetzt ist der kleine Garten hinterm Haus die Bühne, das Zurücklehnen in Genügsamkeit der ganze Lebenszweck, dem man am besten nachschmeckt, indem man sich noch ein Bierchen gönnt.

Gestern ist vorbei, die großen Zeiten, die harten Kämpfe. Christian Kunert, den alle immer nur „Kuno“ nannten so wie seine Hauptperson im Buch jetzt „Cobu“ heißt, hat sie doppelt erlebt und doch nie richtig. Als Renft richtig berühmt war, wurde die Band verboten. Als er gegen seinen Willen und Widerstand in den Westen abgeschoben wurde, wollte die Linke dort nichts wissen von zwei abtrünnigen Ostlern, die den „Blues in Rot“ sangen und nirgendwo richtig reinpassten. Und als er nach dem Mauerfall wieder zu seinem Publikum durfte, waren viele Gemeinsamkeiten mit den Bandkollegen von früher im Zeitenstrudel verschwunden. Die alten Konflikte aber lebten noch.

So ähnlich geht es auch Cobu, dem verrenteten Helden des volkseigenen Humors, der immer wieder gern in seinem eigenen Erinnerungshotel eincheckt. Weit weg und doch so nah sind die komischen Gestalten der Stasi-Leute, die Funktionäre und Opportunisten, die sich vor dem Lachen über einen seiner Witze immer vorsichtig umschauten.

Kunert entwirft ein Panorama aus persönlichen Verstrickungen, möglichen Ereignissen und bizarren Storys, in denen ein „Froschbart“ genannter Stasi-Mann, der begeisterte sozialistische Aufbau-Aktivist Reinhard Rübhügel, der alte Klassenkamerad Bernd Ringel und ein geheimnisvoller Laternenmann Rollen spielen, die über lange Zeit kaum durchschaubar sind.

Geht es hier um Gespenster aus der Vergangenheit? Um unbezahlte Rechnungen? Um Schuld, Sühne, Vergebung oder blutige Rache? Oder um das fabelhafte Herrensteinzimmer, eine Preziose von unfassbarem Wert?

Christian Kunert spielt auf der literarischen Klaviatur wie einst, als er sein Gehör noch nicht verloren hatte, auf seinem Keyboard. Vorgucker, Rückblenden und Einschübe strukturieren einen Text, der seine stärksten Momente hat, wenn der Mann, der nach seiner Ankunft im Westen viele Jahre lang Kabarett gemacht hat, aus haargenauen Alltagsbeobachtungen und DDR-Kindheitserinnerungen Kapitel zusammenschraubt, die wie eine gute Zeitmaschine funktionieren.

„Gugge ma, die Fäderung“, rufen dann Jungs an einem Westwagen, in dem Außerirdische ins kleine Dörfchen der 50er gefahren gekommen sind. Alles drückt und presst auf die Motorhaube, bis dort blankgescheuerte Stellen sind.

Die Figuren hier erinnern an Benito Wogatzkis Schelmenroman „Das Narrenfell“, und Kunert treibt sie mit demselben sprachlichen Charme durch die Zeiten wie Wogatzki damals seinen Helden, den Braunkohlenbaggerschlosser Ulli Wuttke. Ein Drama zum Lachen, eine Tragödie, die sich ohne Tränen mitteilt. Und ein Thriller schließlich, der mit einer zünftigen Verfolgungsjagd endet, an deren Ende alle Gewissheiten verflogen sind. War es so? War es anders? Und warum? Jacobus Kubisch weiß selbst nur noch ganz genau, dass das Leben im Rückblick manchmal ein ganz anderes gewesen ist.

Musikalische Lesung mit C. Kunert: Halle, 26. März, 17 Uhr, Kneipe „Altes Postamt“, Bernburger Straße 25a (mz)