Christian Kohlund als Verführer im Thriller

Hamburg - – Ein düster-makabres Szenario der Gefahren des Internets und der Abgründe im Menschen entwirft die amerikanische Autorin Jennifer Haley in ihrem Stück «Die Netzwelt».
In dem preisgekrönten, zu Diskussionen anregenden Science-Fiction-Thriller gibt es eine virtuelle Domäne, die nicht nur Bilder und Klänge, sondern auch Berührungen und Gefühle bietet. Die User geben dort ihren dunkelsten pädophilen Trieben nach und erschlagen die Kinder blutig mit einer Axt. Ohne juristische Konsequenzen, da das Ganze nicht in der analogen Wirklichkeit passiert.
Haleys Drama machte im Anschluss an seine Uraufführung 2013 in Los Angeles (Kalifornien) in London Furore. Nach München und Frankfurt/Main hat es am Sonntagabend in den privaten Hamburger Kammerspielen in der Inszenierung von Ralph Bridle unter lang anhaltendem Beifall Premiere gefeiert – und das Publikum danach zu vielen Gesprächen in den Foyers stimuliert. Sehr präsent und zwischen Grobheit, Lüsternheit und Sentimentalität bedrohlich schillernd gibt der Fernsehschauspieler Christian Kohlund (65, «Das Traumhotel») den Domänenbetreiber Mr. Sims, auch «Papa» genannt. In langen, packenden Dialogen liefert er sich einen Schlagabtausch mit dem coolen weiblichen Detective Morris (Neda Rahmanian).
Die Ermittlerin will ihm das Handwerk legen und schickt den Undercover-Agenten Woodnut (Björn Ahrens) zur so puppenhaften wie lasziven Domänenfigur Iris (Annika Schrumpf) – der Woodnut zusehends verfällt. «Es ist reine Fantasie – in ihr wollen die Menschen frei sein», rechtfertigt Sims sein virtuelles Refugium. Es bewahre die User vor dem realen Ausleben dieser Seiten ihrer Natur und leiste somit der Gesellschaft einen Dienst. «In Ihrer Domäne gibt es keine Liebe – es geht dort um Ihr Ego», kontert Morris. Wie tief beide persönlich in diese Netzwelt verstrickt sind, zeigt der Verlauf des gut eineinhalbstündigen, durchweg ausgezeichnet besetzten Geschehens.
Für die vielleicht gar nicht so ferne Internet-Zukunft hat die Bühnen- und Kostümbildnerin Mascha Deneke einleuchtend schlichte Lösungen gefunden: Hinter einem Glas-Paravent, der den Raum quer durchzieht, suggerieren ein rosa bezogenes Bett mit Bergen von Stofftieren und ein Piano samt Grammophon eine viktorianisch unschuldige Kinderzimmer-Spielwiese. Und während die Untersuchungen in der Leere davor passieren, stacheln hinter dem Schirm teils drei identisch aussehende Iris-Figuren im Alice-im-Wunderland-Look das Begehren ihrer Besucher an – mit fatalen Folgen. (dpa)