Centraltheater Leipzig Centraltheater Leipzig: Sebastian Hartmann lässt Engel in High-Heels hüpfen

Leipzig/dpa. - Gerade noch gab es einige Geistliche aufder Bühne zu sehen, nun wird der bekannte Leipziger Kirchenmanninmitten der sitzend jubelnden Zuschauer zur Gallionsfigur - undklatscht, klatscht, klatscht.
Auf der Bühne ging es um Gott und den Glauben. Hartmann vermischtedie Matthäuspassion mit den «Abendmahlsgästen» von Ingmar Bergman unddem «Brand» von Henrik Ibsen. «Das war mein beeindruckendstesTheatererlebnis der vergangenen Jahre - und das hier imsäkularisierten Osten», sagte Führer zur Inszenierung, die mitvereinzelten Buh-Rufen, vielen Bravos und stürmischem Applausaufgenommen wurde.
Groß waren die Erwartungen auf den ersten Abend am CentraltheaterLeipzig. 13 Jahre lang hatte Wolfgang Engel die Bühne geleitet undmit Zuschauermangel gehadert. Sein junger Nachfolger, in Leipziggeboren und in der Vergangenheit mehrfach mit diskussionsanregendenInszenierungen aufgefallen, verjüngte nicht nur fast das kompletteEnsemble, sondern benannte auch das Schauspielhaus um - inCentraltheater. Alles, was in Leipzigs Kulturszene Rang und Namenhat, strömte denn zur ersten Premiere des neuen Teams - und wurdemit drei Worten auf dem Bühnenvorhang begrüßt: «Gott mit uns».
Die Trilogie beginnt mit dem Abendmahl - und einem Wiedersehen miteinem alten Bekannten. Berndt Stübner, einer der wenigen, dieHartmann von Engel übernahm, ist Pfarrer Tomas aus Bergmans«Abendmahlsgästen». Er agiert in der Uraufführung minutenlangzunächst komplett im Dunkeln, will nicht helfen, als ein Lebensmüder- vom ebenfalls altbekannten Matthias Hummitzsch gespielt - ihn umRat bittet. Dann erscheint eine Art Engel auf der Bühne. CordeliaWege, neu für die Leipziger, aber schon lange an Hartmanns Seite,bringt eine andere Art Energie ins Geschehen. Sie hüpft,gestikuliert, schreit unvermittelt, um dann Pfarrer Tomas wieder mitzarten Worten von ihrer Liebe zu überzeugen. Doch er wendet sich ab.
Dann kommt Brand. Thomas Lawinky, der in einer Hartmann-Inszenierung in Frankfurt/Main einem Kritiker der «FrankfurterAllgemeinen Zeitung» einen Notizblock aus der Hand riss, tritt inLeipzig bis an den Bühnenrand und fragt: «Warum seid Ihr gekommen?Weil Ihr glaubt. Ihr glaubt tatsächlich an Gott.» Brand selbst findetseine Kirche zu klein, sucht nach dem Alles oder Nichts, lässt sichvon seiner Mutter Schnittlauchstullen schmieren, freut sich kurzdarauf über die «schöne mahagonifarbene Urne» für die inzwischen toteMutter und lässt die Hose runter. Zwischendurch wirft seine Fraueinen Fisch nach dem anderen aus dem Kühlschrank («Was sind'n das fürFische? Is das'n Zeichen?» und am Ende kullern Kohlköpfe auf dieBühne.
Peter René Lüdicke muss sich als Christus ganz nackt machen undmit viel Blut übergießen, aber zuvor sagt er viele Worte in seinerAnsprache bis zu 30 Mal hintereinander und hört aus dem Publikum: «Esreicht!» Im Hintergrund läuft immer wechselweise die Matthäuspassionlive am Klavier oder laute moderne Musik vom Band. Christus schwingteinen großen Hammer, taucht mit dem Schutzengel in einer Mülltonne abund erfährt dann von Judas, dass der Engel eigentlich der Teufel ist.Wie alle anderen weiblichen Darsteller bei Hartmanns Leipzig-Einstandzeigt auch der singende und unpassend lachende Schutzengel (Henrikevon Kuick) viel nackte Haut und muss auf High-Heels über die Bühnehüpfen - am Ende durch jede Menge Blut und Wasser.