CD-Vorstellung CD-Vorstellung: Herbert höchstpersönlich
BERLIN/MZ. - Und wenn der Tonträger nicht "Schiffsverkehr", sondern "Möhreneintopf" hieße, würde das der Liebe bestimmt auch keinen Abbruch tun.
Obendrein wird der Herbert, wie ihn Wolfgang Hanebrink, ein großer Fisch bei der Plattenfirma EMI, nennt, den etwas kryptischen Titel zweifellos schlüssig erklären können. Was er selbstverständlich tut bei der Pressekonferenz am Dienstagabend im Haus der Kulturen der Welt, das hinter dem bunkerartigen Kanzleramt am Berliner Tiergarten gelegen ist. Und alle, die nun wissen, was es mit Grönemeyers Nähe zum "Schiffsverkehr" auf sich hat, werden es getreulich weitersagen. Denn Journalisten sind schließlich Multiplikatoren.
Deshalb hat sie die EMI ja auch zur Begegnung mit dem Künstler eingeladen, zunächst aber auf ein Ausflugsboot. Die Idee passt wie Herbert zu Bochum. Vom wilden Osten, wo die East Side Gallery mit ihrem ruppigen Charme tapfer und verloren gegen die Tristesse der wüsten Stadtlandschaft steht, schippern wir durch der Hauptstadt Mitte, vorbei am Ort, an dem einst der Republikpalast stand, stracks in den Westen.
Zu Würstchen, Buletten, sehr gutem Kartoffelsalat, Bier und Cola wird an Bord das neue Werk von Grönemeyer gereicht. Ein Arbeitsessen gewissermaßen, dessen Ergebnis nicht wirklich überrascht: Das Album kann sich hören lassen. Neben dem knackig arrangierten Titelsong, dessen ultimativer Forderung "Ich will mehr Schiffsverkehr" mit der Präsentationsfahrt schon entsprochen wird, dürften es aber vor allem die leisen Töne sein, mit denen Grönemeyer die Fangemeinde abholt. Sehr schöne, zu Herzen gehende Balladen finden sich auf der Scheibe, Klavier und Streichersound geben einen ordentlichen Schuss Gefühl dazu.
Vor dem hat sich Grönemeyer nie gefürchtet, im Gegenteil: Er hat sich auch das, was ihn im Innersten traf, in rührenden Liedern fast ungeschützt von der Seele geschrieben. Das macht ihn stark und authentisch. "Was ich schreibe, scheint immer sehr persönlich zu sein. Aber es ist auch eine Stilisierung dabei", schwächt er den Mythos in Berlin ein bisschen ab.
Mit "Zu Dir" ist ihm abermals ein Stück gelungen, für das man den fast 55-Jährigen mit dem jungenhaften Auftritt in den Arm nehmen möchte. Es ist neben "Deine Zeit" (wohl eine Widmung an die Mutter) der beste Song des Albums: eine Liebeserklärung für Anna, seine 1998 gestorbene Frau.
"Quer über meinem Herz / liegt die Erinnerung", singt Grönemeyer: "Wenn ich beim Plaudern bin / mich schönes Volk umringt / Wenn mir die Schmeichelei / bald mein Hirn aufweicht / ... will ich zu dir", heißt es in dem Lied, das keine Angst vor dem Kitsch kennt und den Sänger einmal mehr als liebenswerten Melancholiker zeigt, der sich zu seiner Eitelkeit und Professionalität ebenso wie zu Selbstzweifeln, Ängsten und Skrupeln bekennt. Nachdem er das Stück am Klavier improvisiert hat, gibt es Beifall von der Pressetribüne.
Dabei kann er durchaus komisch sein. Und selbstironisch. Sagt er, zeigt er. "Ich habe extrem schöne Beine", verkündet Grönemeyer. Wie man das Goldene Kalb tanzt (eine seiner grandios verknoteten Textfindungen, auf die im Leben sonst keiner käme), führt er auf Nachfrage vor. Er halte seine Lieder zum Teil für sehr lustig - "auch wenn's keiner merkt", sagt er während der halben Fragestunde.
Die ist interaktiv angelegt und videogestreamt, ganz am Puls der Zeit. Allerdings wird es eher pomadig, als Hörfunkstudios mit Wackelbildern zugeschaltet werden. Pro Sender gibt es eine brave Frage aus dem Volk, eingeübt wie Schülerworte zur Abiturfeier. Aber egal, das muss wohl sein. Schließlich wollen die EMI-Leute die Platte verkaufen und nicht nur die Werbekosten samt Buletten und Saltimboccaröllchen mit Pilzrahm (die es am Abend neben anderen leckeren Dingen noch gibt) refinanzieren. Alles andere als eine Nummer 1 in den Album-Charts, wie vom Herbert gewöhnt, wäre in jeder Hinsicht eine herbe Enttäuschung.
Aber das Album wird schon Kurs halten. Ach ja, der Name: Schiffe sind Symbole des Lebens für Grönemeyer. In Stockholm, beim Shrimps-Essen mit Meeresblick, ist ihm der Titel eingefallen. Und dann hat er ihn eben durchgesetzt. Der Herbert kann das, solange er den Rubel rollen lässt. Und die Marke besetzt, die auf ihn eingetragen ist.
Auch im Politischen übrigens, wo er klare Kante gibt: Lieder für Japan? Nee. Die Kinder soll man ausfliegen, wenn der schlimmste Fall droht. Und das Atom-Moratorium, wie Kanzlerin Merkel, die gleich nebenan in ihrem Bau sitzt, es verkündet? "Politiker-Sprech ist das für ihn: "Da macht man den Fernseher aus". Und hört lieber "Schiffsverkehr". Bis zum letzten Song: "So wie ich". Der ist, sagt Grönemeyer, selbstironisch. Es könnte aber auch ein eleganter Tritt vor das Knie seines Lieblingsfeindes Marius Müller-Westernhagen sein.