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Buchvorstellung Buchvorstellung: Günter Grass dichtet in tiefer Not mit Wut

Von Matthias Hoenig 20.03.2007, 10:10
Der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass lächelt in seinem Haus in Behlendorf während eines Fototermins zu seinem neuen Lyrikband «Dummer August» (Foto: dpa)
Der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass lächelt in seinem Haus in Behlendorf während eines Fototermins zu seinem neuen Lyrikband «Dummer August» (Foto: dpa) dpa

Göttingen/dpa. - Es ist aber auch ein zorniges Wüten gegen dieMedien: Wie er sich im Sommer 2006 vorgeführt fühlte, als seinErinnerungsbuch «Beim Häuten der Zwiebel» über seine Jugend und seineideologische Verführbarkeit in der NS-Zeit, über die Schrecken desKrieges und sein Reifen als Schriftsteller in der Nachkriegszeit vonmanchen Medien reduziert wurde auf die SS-Runen.

Grass hatte in seinem Buch erstmals öffentlich gemacht, dass erzum Kriegsende als 17-Jähriger noch bei der Waffen-SS war. Zu spät,viel zu spät - Glaubwürdigkeit und moralische Integrität des Autorsseien verloren, lauteten die Negativ-Schlagzeilen, die Grass auf derdänischen Ostseeinsel Mön, wo er den Sommer verbrachte, erreichten.Nachrichtenmagazine und Boulevardzeitungen druckten seinen Namen mitSS-Runen, Witzchen kursierten («Mein Name ist Grass, mit SS»),Karikaturen sprossen.

Als Reflex auf diese von Grass als Vernichtungsversuch empfundenenSchlagzeilen entstand der Gedichtband «Dumme August» mitausdruckstarken Lithographien und Zeichnungen. Die Titel einiger derinsgesamt 41 Gedichte vermitteln Grass Gemütslage zwischen Scham,Ekel und Wut: «Am Pranger», «Schlaflos», «Waldgängers Klage»,«Schaden auf Dauer», «Mein Makel», «Was bleibt». Im Gedicht «DummerAugust» heißt es: «Schon komme ich mir komisch vor/gestellt vorsSchnellgericht/der Gerechten». Die seitengroße Schwarzweiß-Lithographie daneben zeigt Grass wie einen Sträfling gedrückt mitspitzem Hut - Assoziationen an Opfer der Inquisition oderKulturrevolution in China? «Was mir widerfahren ist, hatInquisitionhaftes», sagt Grass im dpa-Gespräch.

Seine Selbstsicht, Opfer zu sein, formuliert Grass besonderseindringlich in dem Gedicht «Vergleichsweise»: «Dem einen, demanderen Kaninchen/das Fell über die Ohren gezogen/so sollte auch mirgeschehen/auf daß ich nackt und bratfertig/dann mürbe und mundgerechtsei/die Leibspeise/mißliebiger Gäste.»

Seinem Zorn über die Medien gibt er vielfältig Ausdruck. ImGedicht «Was bleibt» attackiert Grass die Inszenierung, wie er siesah: «Dann aber schnitt ein Jemand/geschickt im Gewerbe derNiedertracht/einen Satz aus dem weitläufgen Gefüge/und stellte ihnaufs Podest/gezimmert aus Lügen.» «Helden von Heute» - gemeint sindJournalisten - endet mit den Worten: «"...nur des ScharfrichtersEhrgeiz juckt sie, verletzend zu sein».

Zum Schluss des Bandes - und dies ist Höhepunkt der Grass'schenAnklage und zugleich Trost für ihn - ist Goethes Gedicht «WanderersGemütsruhe» gedruckt. Goethe hatte es nach Anfeindungen wegen seinerNapoleon-Verehrung und seiner Skepsis gegenüber dem Patriotismus derFrühromantiker gedichtet - eine bittere Eloge «Über'sNiederträchtige» mit dem Rat des Wanderers zur Gelassenheit:«Wirbelwind und trocknen Kot/laß sie drehn und stäuben.» Dazu stelltGrass den eigenen Text «Zeitvergleich« und macht deutlich, dass er imGegensatz zu Goethe nicht gelassen sein kann - angesichts derempfundenen Medienhetze.

Das sehr offene, freimütige Buch macht Grass angreifbar, weil erallein seine Sicht und Emotionen zum Thema macht. Deutlich wird, Dankder sprachlichen Ausdruckskraft, wie sehr Grass gelitten hat unterder Berichterstattung. Dies ist eine Stärke des ungemein intensiven,authentischen Buches. Diese einseitige Perspektive ist aber auch eineSchwäche. Nur wer das umfassende Erinnerungsbuch «Beim Häuten derZwiebel» liest und die bei Steidl jetzt ebenfalls erscheinendeDokumentation über die Mediendebatte wird die Komplexität des Themas- den Umgang und die Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichteam Beispiel von Günter Grass - erfassen.

Günter Grass: Dummer August. Gedichte, Lithographien und Zeichnungen Steidl Verlag, Göttingen 80 Seiten, Euro 25,00 ISBN 978-3-86521-421-8