Buchvorstellung Buchvorstellung: Arthur Koestler trifft den Genossen Piepvogel
halle/MZ - Der Titel des Buches, „Die Erlebnisse des Genossen Piepvogel in der Emigration“, klingt nach einer sarkastischen Schnurre. Aber hier handelt es sich vielmehr um eine ebenso ernsthafte wie ungewöhnliche Beschäftigung mit dem Thema Exil. Die Geschichte dieses Buches ist im Übrigen so aufregend wie die ihres Autors.
Arthur Koestler, 1905 in Budapest als Sohn eines jüdischen Industriellen geboren, war einmal ein berühmter Kommunist. In Spanien nahmen ihn die Faschisten gefangen und verurteilten ihn zum Tode. Durch britische Intervention freigekommen, fiel Koestler nach den Moskauer Schauprozessen der späten 1930er Jahre, in deren Verlauf und Folge Stalins tatsächliche oder vermeintliche Gegner zu Hunderttausenden nach Sibirien deportiert oder hingerichtet wurden, vom Glauben ab. Sein Roman „Sonnenfinsternis“ trug ihm, so lange der Ostblock existierte, aus dieser Richtung eisigen Hass und den Titel eines „Renegaten“ ein.
Der Text über den Genossen Piepvogel indes, Koestlers erstes und jetzt erstmals veröffentlichtes Buch, konnte nur deshalb nicht von diesem Bannfluch getroffen werden, weil kaum jemand von seiner Existenz gewusst hat, bis ihn Henrik Eberle und Julia Killet ausgegraben und herausgegeben haben.
Geschrieben 1934 und erfolglos mehreren Verlagen angeboten, verlor sich die Spur des Manuskripts. 1940 fiel es in Paris der Gestapo in die Hände, 1945 in Berlin dem sowjetischen Geheimdienst, der es in einem Moskauer Archiv verschwinden ließ. Nun endlich hat es das Buch in die Welt geschafft, exakt 30 Jahre nach Koestlers Tod. Am 3. März 1983 nahm er sich in seinem Exilort London das Leben.
„Die Erlebnisse des Genossen Piepvogel in der Emigration“ ist nicht eigentlich ein Roman, zu ungefüge sind seine Teile, zu groß die stilistischen Sprünge zwischen Erzähltem und Berichtetem. Aber ein fesselndes Buch ist es zweifellos, in klarer Sprache und mit Figuren, die einen nicht kalt lassen.
Im Zentrum des Geschehens steht ein französisches Heim, in dem überwiegend Kinder in Deutschland eingesperrter Kommunisten leben, wobei ihr Kollektiv auf einem Experimentierfeld platziert ist, das die minderjährigen Beteiligten zu Probanden der großen Ideologen macht. Das allein ist erschütternd zu lesen, zumal die aus ihren Familienbindungen gelösten „neuen Menschen“ durchaus grausam sein können gegenüber anderen und sich selbst. Die Lebensgeschichten der Kinder, die aus konspirativen Gründen alle Decknamen wie eben „Genosse Piepvogel“ tragen, tun ein Übriges.
Jene von Peter zumal, einem Kind aus armen jüdischen Verhältnissen, dessen Eltern ihn, seine ältere Schwester und sich selbst vor den Nazis nach Frankreich gerettet haben. Schließlich wandelt sich das Bürgersöhnchen, als das ihn seine Heimgefährten zunächst sehen, und will ein richtiger Kommunist werden. Dies aber schreibt Koestler nicht mit Hurra, sondern voller Mitgefühl für seine Figuren. Es muss ihm schon damals nicht wohl gewesen sein mit einer Revolution, die ihre Kinder frisst.
Arthur Koestler: „Die Erlebnisse des Genossen Piepvogel in der Emigration“, Europa-Verlag Zürich, 240 Seiten, 23 Euro