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Buchmesse Leipzig Buchmesse Leipzig: Abc im Schnee

Von Christian Eger 07.03.2013, 09:27
Mitarbeiterinnen einer Buchhandlung auf der Buchmesse Leipzig
Mitarbeiterinnen einer Buchhandlung auf der Buchmesse Leipzig dpa Lizenz

Leipzig/MZ - ABC, die Katze lief im Schnee. Der Kinderliedvers kommt einem in den Sinn, kaum dass die gewölbte, von einem glitzernden Schneefeld umschlossene Messehalle in Leipzig-Neuwiederitzsch in den Blick kommt. Eine weiße Buchmesse: Das hat es seit mehr als zehn Jahren nicht gegeben!

Nur einmal, 2007, wirbelte es an einem Tag einige Flocken herbei, die sich sofort in Matsch verwandelten. Davon aber konnte gestern keine Rede sein. Reinweiß zeigte sich das Gelände um die langgestreckte Glashalle, die um zehn Uhr morgens ihre Türen für das Publikum öffnete. Und schon nach 20 Minuten kommt es zum ersten Stau auf der Brücke, die die Hallen zwei und drei verbindet.

Es läuft also bestens vom ersten Moment an, was heißt: im Stop-and-go-Verfahren. Denn nicht nur Leser und Schriftsteller begegnen einander in Leipzig. Vor allem Leser und Leser, nämlich Schulter an Schulter, wenn es höflich läuft. Man braucht Geduld, die Neugier wird sowieso bedient. Etwa zehn Fußballfelder groß ist die Buchschaufläche in diesem Jahr. Rund 100 000 Titel, davon 20 000 Neuerscheinungen werden präsentiert von 2 069 Ausstellern aus 43 Ländern. Im vergangenen Jahr gab es zwei Aussteller mehr: Das Geschäft läuft also wie gehabt. Nur gekocht wird nicht mehr für Schaulustige. Der Brutzel-Boom scheint vorüber.

2800 Veranstaltungen

Die Literatur rückt wieder in den Vordergrund, heraus aus den magazinbunten Mit- und Nachmachbüchern. Und tatsächlich wird das Abc im Schnee komplett bedient. Das Alphabet der Frühjahrs-Autoren, von denen bis Sonntag 2 900 auf etwa 2 800 Veranstaltungen auftreten: von A bis Z, von Johanna Adorján bis Hanns Zischler, von Götz Aly bis Feridun Zaimoglu.

Letzterer hielt am Mittwochabend im Gewandhaus eine engagierte Lobrede auf den Bielefelder Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal, der für sein Buch „Europa erfindet die Zigeuner“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung geehrt wurde. Für seine Recherche der auch literarischen Verächtlichmachung der Romvölker. Machwerke, die Zaimoglu „eine Charakterkunde über die Abgefeimten und Anormalen, verfasst von Infamen“ nennt. „Ich verbeuge mich vor den Seelen der verfemten und gemordeten Roma und Sinti“, sprach der Autor von Erfolgsbüchern wie „Kanak Sprak“ und „German Amok“. Und „vor der Menschenliebe“, ohne die der Preisträger dieses Buch nicht hätte schreiben können. Eine Verneigung, auf die Bogdal mit einer nicht weniger engagierten Ansprache antwortete. Der Trend müsse gestoppt werden, dass die Bücher von Literaturwissenschaftlern „aus den Regalen der Buchhandlungen verschwinden und in die Bestellkataloge von Spezialverlagen abwandern“. Ab und an die Biografie eines Jubiläums- Autors, mehr werde von seiner Zunft nicht mehr gefordert. Ein Verlust, meint Bogdal, der seine Kollegen als Kundschafter für „die Nachtseiten der Kultur und Schattenseiten der Gesellschaft“ begreift. Deren Bücher dürfe man nicht in die Nische abschieben. „Manches davon glänzt, sobald man es vom Staub und Mehltau des akademischen Autismus befreit.“

Dafür ist die Messe der richtige Ort. Wer hier punkten will, muss Klartext reden. Sonst läuft der Leser zur nächsten Bühne über. Das weiß Sabine Ebert genau. Die in Leipzig lebende Journalistin, die es mit ihren „Hebamme“-Romanen zu Bestsellerehren brachte, steht vor einem Seitenwechsel. Mit ihrem Roman „1813 - Kriegsfeuer“ will sie mehr als nur unterhalten. Aufklären nämlich und bilden, mit durchweg gut recherchiertem Material. Einen Roman über die Völkerschlacht in Leipzig will sie bieten, der den Ansprüchen der Historiker standhält - und einer Buchpremiere in der Nikolaikirche, dem Tempel der 89er Revolution.
„So aufgeregt war ich noch nie“, sagt Sabine Ebert, in der LVZ-Autorenarena von ihrem Publikum dicht umlagert. „Meine Nerven liegen blank.“ Und das nach drei Jahren Recherche in Sachen 1813. Schmal, schwarz gekleidet, kupferrot gefärbtes Haar: So wartet die aus Aschersleben stammende Autorin auf das Echo ihrer Leser. Wie oft, sagt sie, habe sie zu Hause klagen müssen: „Entschuldigung, ich kann heute nicht fernsehen, ich muss in die Schlacht!“ Die wird sie nicht los. Es braucht nur Sekunden, schon malt Sabine Ebert ein Bild der historischen Situation. Überall seien die Soldaten gewesen, auch hier, wo heute die Messehalle steht. „In Neu-Wiederitzsch, überall, lagen die Truppen.“ Hungernde, kranke, frierende Männer, die alles Brennbare aus den Häusern rissen. Die eine Spur der Verwüstung nach sich zogen, die noch nach der Schlacht ihre Opfer forderte. Ein Zehntel der Leipziger Bevölkerung starb nach 1813 an Typhus. Das alles wolle sie zeigen, sagt Ebert: „wie sich der Krieg in das zivile Leben schleicht“.

Politiker mit Zeitdruck

Davon können die Politiker erzählen, die in einer Zahl wie selten zuvor vor den Mikrofonen anstehen. 150 Jahre SPD, Bilanzbücher vor der Bundestagswahl und schlicht der Zeitdruck, sich noch einmal in Leipzig mitteilen zu müssen: Das ermöglicht Begegnungen mit Frauen wie Marina Weisband (Piraten) und Claudia Roth (Grüne), mit SPD-Männern wie Egon Bahr und Peer Steinbrück, mit Thomas de Maiziere (CDU) und Gregor Gysi (Linke). Und vor allem mit dem letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow, sozusagen dem Moskauer Patenonkel der Leipziger Revolution, der gestern Nachmittag mit einem eigens für ihn gecharterten Flieger von Köln aus - wo er das Literaturfest Lit.Cologne besuchte - auf dem Flughafen Leipzig-Halle gelandet sein soll.

Heute stellt der 82-Jährige seine Memoiren „Wie es war“ vor. Was eigentlich unmöglich ist, folgt man dem großen ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy („Esti“), der gestern vor seinem Publikum bekannte: „Ein Buch kann man nicht vorstellen.“ Wie bitte? Schon korrigierte sich der Nachfahre des berühmten österreich-ungarischen Adelsgeschlechts: „Nein, ein gutes Buch kann man nicht vorstellen!“

Nach solchen Sätzen darf der Leser getrost einmal fluchtartig die „hallesaale-Lounge“ in der Messehalle fünf aufsuchen. Dort steht ein weiß bezogenes Doppelbett unter dem Slogan „Wir legen uns früher hin“. Nur das Ausschlafen wird bis Sonntag nicht gelingen.

Mitarbeiterinnen einer Buchhandlung auf der Buchmesse Leipzig (Sachsen) sortieren am 13.03.2013 Bücher auf einen Stapel. Vom 14. bis 17. März präsentieren sich auf der Messe über 2000 Verlage aus 43 Ländern mit ihren Neuerscheinungen.
Mitarbeiterinnen einer Buchhandlung auf der Buchmesse Leipzig (Sachsen) sortieren am 13.03.2013 Bücher auf einen Stapel. Vom 14. bis 17. März präsentieren sich auf der Messe über 2000 Verlage aus 43 Ländern mit ihren Neuerscheinungen.
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Die Leipziger Buchmesse ist Kontaktbörse für Autoren und Verlage. 
Die Leipziger Buchmesse ist Kontaktbörse für Autoren und Verlage. 
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