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Buchmesse Frankfurt Buchmesse Frankfurt: Aula der Weltliteratur

Von roland mischke 07.10.2013, 19:29
Frankfurt ruft: Eine Frau geht am Brasilien-Pavillon mit der Aufschrift „Transformat“ vorüber.
Frankfurt ruft: Eine Frau geht am Brasilien-Pavillon mit der Aufschrift „Transformat“ vorüber. dpa Lizenz

Frankfurt (Main)/MZ - Von den 60 ins Deutsche übersetzten Büchern aus Brasilien sind die Hälfte Titel von Paulo Coelho. Er ist der bekannteste Schriftsteller des Landes, aber weniger Dichter als Esoteriker. Statt gut komponierter Sätze finden sich bei ihm Banalitäten. „Das, was wir suchen, sucht immer auch uns“, heißt es in „Aleph“, seinem letzten Roman. Coelho ist eine, aber keine bedeutende der literarischen Stimmen Brasiliens. Von Samba, Karneval und alegría, der tropischen Lebenslust, ist in seinen verkopften Werken nichts zu lesen.

Wer wissen will, was die Autoren des riesigen Landes - 24 mal größer als Deutschland, mehrere Landschafts- und Zeitzonen, 192 Millionen Einwohner - beschäftigt, ist gut beraten mit dem Magazin „die horen“ (Wallstein, 230 Seiten, 14 Euro). Michi Strausfeld, die große Vermittlerin lateinamerikanischer Literatur, hat eigens Texte zusammengestellt, die sowohl mit den Klassikern einen kompetenten Überblick als auch einen Einblick in die Gegenwartsliteratur gibt. Sämtliche Texte wurden für diese Ausgabe erstmals ins Deutsche übersetzt. „Repräsentative Gestalten“, so der Exilant Stefan Zweig, wie Machado de Assis und Euclides da Cunha, traten Ende des 19. Jahrhunderts „in die Aula der Weltliteratur ein“. Ihnen folgten Jorge Amado, Graciliano Ramos, Rachel de Queiroz, Joao Cabral de Melo Neto oder Clarice Lispector.

Im Jahr 2008 gewann Uwe Tellkamp mit seinem Roman "Der Turm" den Hauptpreis des Deutschen Buchpreises. Der Roman enthält Aspekte des Gesellschafts- und des Schlüsselromans sowie des Historischen Romans. Er schildert dabei verschiedene Milieus der DDR und deren Zusammenhang wie Jugendbewegung, Bildungswesen, Militär, Gesundheitswesen, den Kreis der Literaturschaffenden sowie Nachbarschaft und Familie. (Quelle: www.wikipedia.de)

Im Jahr 2009 ging der Hauptpreis an "Du stirbst nicht" von Kathrin Schmidt.

Im Jahr 2010 gewann Melinda Nadj Abonji mit "Tauben fliegen auf".

Eugen Ruge gewann im Jahr 2011 den Hauptpreis mit "In Zeiten des abnehmenden Lichts".

Ursula Krechtel gewann 2012 den Hauptpreis mit "Landgericht". Das Werk stellt einen jüdischen Richter in den Mittelpunkt, der 1947 aus dem Exil in Havanna nach Deutschland zu seiner versprengten Familie zurückkehrt „und zerbricht, als er in der Enge Nachkriegsdeutschlands den Kampf um die Wiederherstellung seiner Würde verliert“. (Quelle: www.wikipedia.de)

Die Autorin Terézia Mora hat 2013 den Deutschen Buchpreis für ihren Roman „Das Ungeheuer“ erhalten.

Brasilien ist ein Schwellenland, das sich gern als Wirtschaftsmacht darstellt, aber viele soziale Probleme sind noch nicht annähernd gelöst. Heutige Literaten erzählen davon in ihren Geschichten voller kreativer Unruhe und Ungeduld. Es geht um Rassismus, die krassen Gegensätze zwischen Arm und Reich, Favelas, Kriminalität und die Mängel des Bildungssystems.

Chico Buarque, 69, nannte schon zur Zeit der Diktatur als Liedermacher Dinge beim Namen. Nun beklagt er die tief verwurzelte Gewalt in seinem Land. Seit der Sklavenhaltung habe sich da nur äußerlich etwas verändert. In Konflikten, so beim Protest der Studenten jüngst gegen hohe Ausgaben für das Prestige-Ereignis Fußball-WM und Fahrpreiserhöhungen, breche bei der Polizei sofort brachiale Gewalt aus. Brasilien ist ein stark segmentiertes Land, alle stecken fest in ihren Bereichen.

In Buarques Roman „Vergossene Milch“ (S. Fischer) erinnert sich ein fast Hundertjähriger an den Aufstieg und Untergang seiner Familie. Ihm ist nur das „p“ geblieben, das er im Stadtnamen Assumpcao betont mitspricht, weil es auf seine portugiesische Vergangenheit verweist. Eine bittere Inventur voller Melancholie. Mit Luiz Ruffato, der die Buchmesse eröffnen wird, kommt die Realität ins Spiel. „Es waren viele Pferde“ (Assoziation A, Berlin) erzählt in 69 Kapiteln von Sao Paulo, dem 20-Millionen-Moloch; aber es sind alles Einzelgeschichten. Ruffato beleuchtet das Leben der Gewinner im ökonomischen Aufstieg, noch mehr der Verlierer. „Aufrecht auf ihren Hinterpfoten nagt eine Ratte an einer Brotkruste“, heißt es. Das Buch schreckte Brasilien auf.

Typisch Brasilianisches beschwört Dawid Danilo Bartelt in „Copacabana. Biographie eines Sehnsuchtsortes“ (Wagenbach). Der 4,5 Kilometer lange Strand, „ein überdimensionierter Eisbecher, wie eine Kitschversion seiner selbst“. Das Buch ist penibel recherchiert, nicht nur Reiselektüre. Bartelt erzählt die historische Entwicklung des Stadtteils von Rio, der auch in Europa ein Sehnsuchtsort ist. Als 1886 die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt als erste stundenlang im Badeanzug am Strand weilte, war das ein Skandal. Heute gehören Körperkult wie Fußball und Musik dazu.

Unter den 70 brasilianischen Schriftstellern, die nach Frankfurt reisen, ist Paulo Scott einer der Mutigen. Der Rechtswissenschaftler attackiert in „Unwirkliche Bewohner“ (Wagenbach) seine Landsleute, weil sie die Indios ausblenden. In seinem Roman treffen sich die India Maína und der gutbürgerliche Jurastudent Paulo – zwei Welten prallen zusammen. Trotzdem entsteht eine Beziehung, die von Anziehung und Abstoßung geprägt ist. Eine ungewöhnliche Geschichte. „Es herrschen Gewalt und Unterdrückung“, so Scott.

Die Literatur Brasiliens ist vielstimmig, aber es mehren sich darin jene Stimmen, die Gerechtigkeit einklagen. Wie Luiz Ruffato es formulierte: „Wir haben in Brasilien eine extrem ungerechte Gesellschaft. Wir leben mit einer Rassentrennung. Und es gibt eine Elite ohne jegliche Verantwortung für das Land.“ Auch und gerade das ist Stoff der Literatur.