Bücherverbrennung Bücherverbrennung: Es ist vorüber nicht vorbei

halle/MZ - Vor fünf Jahren veröffentlichte der Berliner Journalist Volker Weidermann „Das Buch der verbrannten Bücher“. Eine sehr engagiert und anregend verfasste Recherche des Schicksals jener 131 Autoren und ihrer Werke, die im Mai 1933 im „Börsenblatt“ des Buchhandels als „undeutsch“ diffamiert worden waren.
Verfasst hatte die erste amtliche Liste der 1904 im - heute sachsen-anhaltischen - Städtchen Alsleben geborene und 1945 bei Brünn gestorbene Bibliothekar Wolfgang Herrmann. Ein promovierter Aktivist der nationalsozialistischen Buchpolitik, der lange vor 1933 mit dem Verfassen von „schwarzen“ Listen begonnen hatte. Herrmanns Vorarbeiten ermöglichten am 10. Mai vor 80 Jahren den schnellen Zugriff auf jene Literatur, die in 22 Universitätsstädten in Flammen aufgehen sollte. In Halle aus Termingründen zwei Tage später.
Keine Aktion des NS-Propagandaministeriums, sondern aus der Mitte der Gesellschaft heraus: angefacht von der Deutschen Studentenschaft. Im Wissen der Mitwelt und aus der Erinnerung der Nachwelt sollten die Namen der Autoren gelöscht werden, was bei einigen weniger prominenten Fällen auch gelang. „Diese Nacht“, schreibt Weidermann über die Bücherverbrennung, „ging wie ein Riss durch das Leben der 131 Autoren.“
An diesem Riss entlang notierte der Journalist die Geschichten von Menschen und Büchern. Er schrieb gewissermaßen das 1977 von Jürgen Serke veröffentlichte Erfolgsbuch „Die verbrannten Dichter“ fort. Wo Serke sich auf einige spektakuläre Fälle beschränkte, ging Weidermann auf durchweg alle 131 verbotenen Autoren ein, unter diesen einer, von dem man nur das Pseudonym kannte.
Das des Verfassers des 1928 im Kurt Wolff Verlag veröffentlichten Antikriegsromans „Schlump“. Ein Bestseller seinerzeit, der die „Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz“ bot, „von ihm selbst erzählt“. Dieses Buch, dem ein zweifelloser Autor fehlte, war auf die NS-Brandliste geraten: Aber wer war Schlump? Weidermann, der das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung leitet, stellte diese Frage in seinem Hausblatt und - bekam Antwort.
Vor wenigen Tagen, am 28. April, erschien in der Sonntagszeitung Weidermanns Artikel „Der Riss“, der das Geheimnis um das Pseudonym lüftete. Autor des „Schlump“ war demnach Hans Herbert Grimm, ein Französischlehrer aus dem thüringischen Altenburg. Seine Identität als Autor des pazifistischen Erfolgsromans hatte der Kleinstädter nach außen hin bestens verborgen und sein letztes persönliches Exemplar des Buches die Nazi-Jahre hindurch in seinem Wohnhaus in Altenburg eingemauert. In diesem lebt heute Grimms Schwiegertochter, die sich bei Weidermann gemeldet hatte. Erstmals gab sie Auskunft über einen Mann, über den in seiner Familie vor allem geschwiegen wurde. Der trieb seine soziale Anpassung so weit, dass er in die NSDAP eintrat, was ihm nach 1945 zum Verhängnis werden sollte. Anders als für seine Frau kam für Grimm ein Gang ins Exil niemals in Frage. Den Recherchen sei Dank: Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis der ins Licht gerückte Roman wieder veröffentlicht wird. Ein kleiner Sieg über die Verheerungen des NS-Kulturterrors.
Die wirken bis heute fort - auch in den öffentlichen Bibliotheken. Weil aus diesen im Zuge der Brandaktion Bücher entfernt - oder anonym hinzugefügt worden sind. Arbeiter- und Gewerkschaftsbibliotheken wurden aufgelöst, Sammlungen jüdischer Eigentümer und politischer Gegner gestohlen oder zum Schleuderpreis abgepresst.
Erst seit wenigen Jahren werden auch Bücher als NS-Raubgut ernst genommen. Mit ersten Resultaten: Im vergangenen Jahr meldete die Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar, dass mehr als 4 000 in der Nazi-Zeit beschlagnahmte Bücher in ihren Beständen zu finden sind und auf ihre Rückführung warten. Immerhin. In den Beständen der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle ist kein NS-Raubgut zu finden, sagt deren Direktor Heiner Schnelling. Alles sei geprüft worden, auch die Jewish Claims Conference habe nachgeforscht. Tatsächlich sind die meisten von 1933 an beschlagnahmten Büchersammlungen den Bibliotheken des Reichssicherheitshauptamtes zugeführt worden, von bis zu drei Millionen Büchern ist zu lesen, von denen die meisten bis heute verschwunden sind. Das von Magdeburg aus koordinierte Lost Art-Verzeichnis nennt keine Büchersammlung, die in Sachsen-Anhalt als NS-Raubgut vermisst wird. Allein in der Anhaltischen Landesbücherei geben 14, größtenteils auf Hebräisch verfasste und um 1800 verlegte Bücher Rätsel auf. Werke, die keinen Bibliotheksstempel besitzen, die in keinem Katalog erfasst sind, wie Martine Kreißler, Leiterin der Wissenschaftlichen Bibliothek, auf Nachfrage mitteilt.
Was in der Brandnacht vor 80 Jahren begann, ist vorbei, aber nicht vorüber. Das war es auch für Schlump nicht, dem die Ankunft im bürgerlichen Alltag nicht gelingen sollte. Nach 1945 aus dem Schuldienst entlassen, schlug sich der Autor als Dramaturg am Theater Altenburg durch. Im Sommer 1950 wurde er nach Weimar bestellt, mutmaßlich, um für die Gründung einer Blockpartei verpflichtet zu werben. Niemandem habe er erzählt, was bei diesem Treffen von ihm verlangt worden sei, teilte dessen Schwiegertochter mit. Zwei Tage nach seiner Rückkehr aus Weimar, am 7. Juli 1950, nahm sich Grimm, der unerkannt „Schlump“ sein wollte, das Leben.