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Buch des Journalisten Joachim Jauer Buch des Journalisten Joachim Jauer: Rückblick auf Ost-West-Jahre

Von Christian Eger 07.01.2016, 07:31
Wuppertal, Herbst 1987: Udo Lindenberg (links) überreicht Erich Honecker eine Gitarre. Seinen legendären „Sonderzug nach Pankow“ hatte der Sänger 1983 in der westdeutschen Fernsehsendung „Kennzeichen D“ gestartet.
Wuppertal, Herbst 1987: Udo Lindenberg (links) überreicht Erich Honecker eine Gitarre. Seinen legendären „Sonderzug nach Pankow“ hatte der Sänger 1983 in der westdeutschen Fernsehsendung „Kennzeichen D“ gestartet. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Für Erich Honecker war die Sache klar. Auf die von West-Journalisten gestellte Frage, woher er das ZDF-Magazin „Kennzeichen D“ kenne, antwortete der DDR-Staatschef 1986 im Ostberliner Staatsratsgebäude: „,Kennzeichen D‘ ist Pflichtlektüre für jeden DDR-Bürger!“ Eine Antwort im Überschwang. Honecker wartete in diesem Moment auf den SPD-Chef Willy Brandt.

Ein Überschwang, den Honecker schnell bereute. Der Bitte, sein Statement vor der Kamera des „Kennzeichen D“-Teams zu wiederholen, kam er schon nicht mehr nach. Aber eine Ergänzung hatte er: „Pflichtlektüre“ sei es, „weil jeder DDR-Bürger wissen muss, was der Klassenfeind denkt und plant“.

Was dem Osten verheimlicht werden sollte

Das war selbstverständlich Unsinn, es sei denn, man hätte - worüber man ja nachdenken kann - den „Klassenfeind“ mit der DDR-Regierung identifiziert. Denn das Deutschland-Magazin „Kennzeichen D“, das „Deutsches aus Ost und West“ versprach, schaute man von Osten aus keinesfalls, um zu erfahren, wie der Westen tickte, sondern um mitzubekommen, was im Osten verheimlicht werden sollte. In dieses Vakuum hinein sendete das Magazin von 1971 an.

Neben dem scharfgängigen „ZDF-Magazin“ mit Gerhard Löwenthal und dem von Klaus Bednarz stets nachdenklich im Pullover moderierten ARD-„Monitor“ der Klassiker der subversiven Ost-Berichterstattung. Hier kam zu Wort, wer vom ZDF als DDR-Oppositioneller identifiziert wurde, was auch zu Unschärfen führte und einen eigenen Mainstream erzeugte. Aber so ist Fernsehen.

Der Westjournalist, der 1986 Honecker bat, sein Statement vor laufender Kamera zu wiederholen, war der Fernsehredakteur Joachim Jauer, von 1978 bis 1982 Leiter des ZDF-Büros in der DDR. Der gebürtige Berliner gehörte zu den Männern der ersten „Kennzeichen D“-Stunde. Und mehr als das: Er war der erste Westkorrespondent überhaupt, der offiziell einen Fernsehbericht in der DDR drehte („Winterurlaub in Oberwiesenthal“, 1967), und wiederum der Erste, der einen Farbdokfilm über die DDR sendete („Potsdam heute“, 1971).

Wo Jauer war, war Osten, und zwar jener Osten, in dem die ideologischen Gewissheiten rasant wegbrachen. Jauer, von 1987 bis 1990 ZDF-Sonderkorrespondent für Mittel- und Osteuropa, berichtete aus dem Polen der Solidarnosc, der Tschechoslowakei der Charta 77, dem Ungarn der sich abzeichnenden Grenzöffnung. Anlässe, um zurückschauen. „Kennzeichen D. Friedliche Umwege zur deutschen Einheit“ heißt das Buch, in dem Jauer jetzt seine eigene Vor-89er Osteuropa-Kunde entfaltet.

Wege zur deutschen Einheit

In einem Dutzend Kapitel widmet sich der 75-Jährige den Frauen und Männern, die aus seiner Sicht den Sturz der Ost-Diktaturen und die „Wege zur deutschen Einheit“ vorbereiteten: unter anderen der protestantische Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich aus Protest gegen das SED-Regime im August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz selbstverbrannte, die Gründerin des ungarischen Malteser-Caritas-Dienstes Csilla Freifrau von Boeselager, immer wieder der Papst Johannes Paul II., den Jauer zu den großen politischen Gestalten des 20. Jahrhunderts zählt.

In all diesen zeithistorischen Berichten ist hin und wieder ein denkwürdiges Detail zu finden, aber mehr doch längst Bekanntes - oder ungenau Wiederholtes. Als Augenzeuge wird Jauer in diesen Handbuch-artigen Beiträgen kaum kenntlich, was schade ist, denn wozu sonst folgt man einem Reporter, wenn nicht um einiger erstaunlicher Beobachtungen oder Analysen wegen? Was auch heißt: Interessant ist das Buch dort, wo sein Autor als Akteur sichtbar wird. Wenn er schildert, wie er in Ostbelin - erst in der Leipziger Straße, dann in Pankow - wohnte und an der Friedrichstraße arbeitete.

„Kennzeichen D“ war ein Magazin mit Verdiensten. Hier startete der Rocker Udo Lindenberg  1983 seinen „Sonderzug nach Pankow“, um endlich einmal in der DDR auftreten zu können. Jauer war dabei, als im August 1983 während des Evangelischen Kirchentages in Wittenberg ein Schwert in eine Pflugschar umgeschmiedet wurde. Dem linientreuen „Oktoberklub“ war so viel Einsatz die Liedzeile wert: „Vom ZDF ein Oberschlauer / heult täglich einmal an der Mauer“. Ein Song, der laut Stasi-Protokollen während eines „Festivals des politischen Liedes“ zu einem Shitstorm staatstreuer Pöbelrufe wie „rausschmeißen“ und „aufs Maul hauen“ führte.

Menschen kamen direkt zur Sache

Nur zweimal im Jahr war den Westjournalisten gestattet, mit Kamera und Mikrofon unters Ostvolk zu gehen, das geschah meist während der Leipziger Messe im Frühjahr und im Herbst. Kaum war die Kamera ausgepackt, waren die Reporter schon von rund 50 Menschen umstellt. Die kamen oft angstfrei und direkt zur Sache. Nur antworteten sie nie auf die braven Fragen. Wollte der Reporter wissen „Was sagen Sie zur Leipziger Messe?“, kam als Antwort: „Ich möchte auch einmal zu meiner Schwester nach Kassel reisen dürfen.“

„Ich habe das D vor allem als D wie Dolmetscher verstanden“, sagt Jauer über den Titel seiner Sendung. Er meinte das Übersetzen zwischen Ost und West. Wirkungsvoller war das Übersetzen zwischen der DDR-Realität und der SED-Wirklichkeit. Insofern hatte Honecker Recht mit der „Pflichtlektüre“. Wie genau sein Stab das Magazin auswertete, zeigt ein Fall von politischer Willkür aus dem Jahr 1982. „Kennzeichen D“ berichtete von einem Ost-West-Pärchen mit zwei Kindern, dem über acht Jahre die Familienzusammenführung verweigert wurde. Nach der Ausstrahlung erhielten die Betroffenen ein handschriftliches Schreiben von Honecker, der demnach den „zuständigen Organen empfohlen“ haben wollte, die Ausreise in den Westen zu genehmigen. Beigefügt war ein Protokoll der Fernsehsendung. (mz)