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Bruce Dickinson Bruce Dickinson: "Ich mache das aus Spaß"

Von Martin Scholz 25.02.2013, 20:18

Berlin/dpa - Mr. Dickinson, stimmt es, dass Lady Gaga einmal zu einem Konzert kam und Ihnen aus lauter Bewunderung backstage Ihre Bühnen-Klamotten bügelte?

Dickinson: Das ist ausgemachter Blödsinn, der immer wieder durchs Internet geistert. Aber sie ist tatsächlich zu einem unserer Konzerte gekommen, ohne dass wir davon zunächst wussten. Sie stand im Publikum. Als wir später die Halle verließen, kam sie dann auf uns zu, und wir haben uns halt noch ein bisschen mit ihr unterhalten.

Sie hat sich in einem Interview als leidenschaftlicher Iron-Maiden-Fan bezeichnet und erzählt, wie sie früher Ihre Songs auf der Bühne nachspielte. Was meinen Sie, wie würde das Iron-Maiden-Publikum reagieren, wenn Sie mit Lady Gaga ein Duett sängen?

Dickinson: Ideen haben Sie! Keine Ahnung, wie das wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dazu kommt.

Inzwischen jubelt Ihnen ja nicht nur Lady Gaga zu, es kommen überhaupt viel mehr Frauen zu Ihren Konzerten als noch vor zehn, 15 Jahren. Können Sie sich diese Entwicklung erklären?

Dickinson: Das hat wohl mit dem Wandel der Zeiten zu tun. Die Vorstellung, dass Frauen nur mit Babys spielen müssten, ist ebenso antiquiert wie die Ansicht, dass Heavy Metal nur was für Männer ist. Die Zeiten haben sich geändert, Heavy Metal auch.

Sie haben Ihre Konzerte und Ihre Musik mal als puren Eskapismus bezeichnet. Die Finanzkrise dauert nun schon einige Jahre. Hat sich die Sehnsucht nach diesem Heavy-Metal-Eskapismus in dieser Zeit verstärkt?

Dickinson: Schwer zu sagen. Ich habe aber während unserer Reisen in Gesprächen mit Fans sehr wohl mitbekommen, dass die Leute nicht mehr so viel Geld haben wie früher. Das ist wichtig, wenn wir beispielsweise Ticketpreise festlegen. Wenn dann bestimmte Künstler, vor allem ältere, wirklich verrückte Preise verlangen, finde ich das infam. Das muss man ja nicht mitmachen.

Iron-Maiden-Tickets gibt es ab 51 Euro, die Karten für ein Konzert der Rolling Stones in London oder New York kosteten 450 bis 1 000 Euro oder noch mehr.

Dickinson: Sehen Sie, Iron Maiden haben gerade 50 000 Tickets in 49 Minuten für ein Konzert in Schweden verkauft. Unsere Fans schrieben uns, unsere Preise seien sehr fair. Das ist uns wichtig. Nicht jeder hat heute noch einen Job.

Als Sie 1988 mit Iron Maiden bei dem Monsters-Of-Rock-Festival in Schweinfurt spielten und Fans danach die halbe Innenstadt zerlegten, war Heavy Metal verpönt. Keine Stadt wollte so ein Festival haben. Seit es das Wacken-Open-Air gibt, wo sich eine ganze Kleinstadt jedes Jahr in den Dienst der harten Musik und ihrer Fans stellt - und damit sehr gute Geschäfte macht -, hat sich das Image komplett geändert. Ist Heavy Metal heute ein Wirtschaftsfaktor?

Dickinson: Das auch. Heute würde jede Stadt gerne so ein Festival wie Wacken haben. Wir haben dort auch gespielt, es war großartig. Jeder lässt sich von der Musik berauschen, die ganze Stadt ist im Rausch. Fantastisch! Darum geht es doch im Heavy Metal, um das Gemeinschaftsgefühl. Und wenn Sie sich ansehen, wie viel Rangeleien im Umfeld eines Iron-Maiden-Konzerts aufkommen, ist das doch nichts im Vergleich zu den Ausschreitungen, die wir am Rande von G8-Gipfeln beobachten können. Warum verbieten wir nicht den Politikern, überhaupt G8-Gipfel abzuhalten. Das wäre doch mal eine Initiative!

Sie kennen sich ja ein bisschen aus mit großen politischen Zusammenhängen, haben ein abgeschlossenes Geschichtsstudium.

Dickinson: Das stimmt zwar, aber ich muss Ihnen gestehen: Mein größtes Interesse während des Studiums bestand zunächst allein darin, möglichst oft abends auszugehen und mit Mädchen in Bars abzuhängen.

Das allein wird vermutlich für den Abschluss nicht gereicht haben.

Dickinson: Nein. Als ich mich endlich dazu aufraffen konnte, ein bisschen zu studieren, habe ich mich mit moderner europäischer Geschichte von 1789 bis zur Schweinebucht-Krise vor Kuba beschäftigt. Krieg und Frieden, die historischen Hintergründe, das hat mich immer schon fasziniert.

Warum haben Sie keine akademische Laufbahn eingeschlagen?

Dickinson: Nein, nein, niemals. So weit reichte mein Interesse dann doch nicht.

Stattdessen gingen Sie als Soldat zur Armee. Ein halbes Jahr später traten Sie wieder aus. Warum?

Dickinson: Wir haben in Großbritannien ja eine Freiwilligen-Armee. Eine Zeit lang hatte ich durchaus ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich in der Armee Karriere machen sollte. Ich habe allerdings schnell gemerkt, dass ich keinen guten Soldaten abgeben würde. Ich habe einfach zu oft widersprochen. In meiner kurzen Zeit bei der Armee war ich die meiste Zeit damit beschäftigt, ständig herumzurennen, Löcher im Wald zu buddeln und Deckung zu suchen. Die ganze Ausbildung hat mir später im Grunde nur einmal genutzt, als ich Mitte der 90er während des Bosnien-Krieges ein Konzert im belagerten Sarajevo gab. Es war im Winter, kurz vor Weihnachten, wir sollten über den Gipfel des Berges Igman in gepanzerten Fahrzeugen in die Stadt fahren, weil gerade noch geschossen worden war. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Fahrt vom Berg hinunter nach Sarajevo. Einerseits war ich von der Landschaft, der Lage der Stadt fasziniert. Andererseits dachte ich: Was für eine Tragödie, dass sich hier so viel Hass und Wut entlädt, dass Menschen, die jahrelang Nachbarn waren, aufeinander schießen.

Wie kam es dazu, dass Sie in Sarajevo spielten?

Dickinson: Ein Soldat aus der britischen Armee hatte mich angesprochen, er leitete einen Radiosender der britischen Armee in Sarajevo. Es war eine verrückte Zeit. Vor mir hatte er bereits Metallica angesprochen, die hatten abgelehnt, weil es ihnen zu gefährlich war. Motörhead hatten ebenfalls abgesagt. Am Ende landete er bei mir. Ich sagte ihm, ich sei verrückt genug, das zu machen und habe dann im tiefsten Winter vier Tage in dieser belagerten Stadt verbracht. Es war verstörend, aber auch sehr bewegend. Irgendwann muss ich das mal aufschreiben.

Wo genau sind Sie damals aufgetreten?

Dickinson: Ich habe im bosnischen Kulturzentrum vor etwa 1 000 Menschen aus dem belagerten Sarajevo gespielt. Irgendjemand sagte mir, die Serben hätten das Gebäude noch während des Soundchecks mit Granaten beschossen. Wir waren im Keller und hatten davon nichts mitbekommen.

Sind Sie je wieder dort gewesen?

Dickinson: Leider nein. Die Menschen in Sarajevo, die ich in dieser Zeit traf, haben mich sehr beeindruckt. Sie waren so stark, so bewundernswert diszipliniert inmitten all dieses Wahnsinns und des Chaos, das sie umgab. Ich hatte ihnen mein mobiles Aufnahmestudio aus London mitgebracht. Sie luden es auf einen Laster und nahmen es mit, weil sie es brauchten und es damals nichts dergleichen mehr gab. Mein Studio ist heute vermutlich immer noch irgendwo in Sarajevo. Ich könnte wochenlang davon erzählen. Es kam mir vor, als würde ich zwei Leben in drei Tagen durchleben.

Mr. Dickinson, reden wir noch ein bisschen über heute. Auf den aktuellen Bandfotos tragen alle Iron-Maiden-Musiker immer noch ihre langen Matten wie eh und je, nur Sie nicht. Sie mussten sich vor zwölf Jahren Ihre Haare kurz schneiden lassen, weil Sie Pilot werden wollten. Bereuen Sie das manchmal, wenn Sie sich heute alte Bilder von sich ansehen?

Dickinson: Guter Gott, nein. Als ich mir irgendwann alte Bilder von mir mit langer Mähne ansah, dachte ich nur: Mann, siehst du alt aus! Nachdem ich meine Haare geschnitten hatte, sagten mir viele: Hey, du wirkst jetzt zehn Jahre jünger. Damit kann ich prima leben. Es gibt noch einen weiteren Vorteil von kurzen Haaren: Inzwischen sieht man mich nicht mehr so an, als würde ich gleich den halben Supermarkt ausrauben.

Was hat Sie überhaupt daran gereizt, Pilot zu werden, nachdem Sie bereits Rockstar waren?

Dickinson: Das Fliegen hat mich schon als Kind fasziniert. Mein Onkel war Pilot bei der Royal Air Force. Er hatte mich früher oft zu Flugshows mitgenommen. Ich war jedes Mal begeistert. Hätte ich in der Schule bessere Noten in Mathe und Physik gehabt, wäre ich sofort Pilot geworden. Ich wollte das immer machen. Das ist ein faszinierender, sehr erfüllender Job und eine neue Herausforderung neben meiner Arbeit mit der Band.

Wenn Sie Passagiere fliegen, melden Sie sich dann mit den Worten: This is Bruce Dickin-son, your captain speaking?

Dickinson: Nein, Bruce ist ja ohnehin mein Mittelname. Im Cockpit benutze ich meinen ersten Namen, Paul. Aber das ist sowieso egal, weil die meisten Passagiere sich nicht um das kümmern, was der Pilot sagt. Es sei denn, wir kündigen schwere Turbulenzen oder Schlimmeres an.

In der Konzert-Dokumentation „Iron Maiden Flight 666“ sieht man, wie Sie die zwei Fähigkeiten miteinander verbinden, wenn Sie Ihre Band und manchmal auch Fans auf der Tournee von einem Ort zum anderen fliegen. Woher nehmen Sie die Energie, nach einem Transatlantik-Flug auf der Bühne den Derwisch zu geben?

Dickinson: Der Film gibt da durch die schnellen Schnitte ein etwas verzerrtes Bild, wenn er nahelegt, dass ich nach einem Flug gleich auf die Bühne steige. Nach einem Konzert brauche ich erst mal zwölf Stunden Pause, bevor ich mich wieder als Pilot einsatzfähig melden kann. An den meisten Tagen der Tournee konnte ich wegen der zeitlich engen Abläufe also gar nicht fliegen. Aber an manchen ging es. Von den mehr als 100 Stunden, die wir im Flugzeug verbracht haben, bin ich vielleicht 30 geflogen, meistens die langen Ozean-Strecken.

Warum machen Sie das - aus Spaß, oder um in Zeiten der Krise für die Band Kosten zu sparen?

Dickinson: Multi-Tasking als Kostenreduzierung? Das wäre ein guter Witz. Nein, ich mache das aus Spaß. Und natürlich habe ich als Pilot richtiges Geld verdient. In elf Jahren habe ich mehr als 7 000 Stunden im Cockpit verbracht, 5 500 davon in großen Maschinen, Boeing 757 und 737. Seit Astraeus, die Airline, für die ich lange gearbeitet habe, letztes Jahr bankrott ging, arbeite ich freiberuflich, trainiere Piloten. Darüber hinaus besitze ich ein Unternehmen, das große Passagiermaschinen in Cardiff wartet. Die Fliegerei bleibt meine Leidenschaft.

Jetzt haben wir noch gar nicht über Ihre andere Leidenschaft gesprochen.

Dickinson: Welche meinen Sie?

Bücher. Kennen Sie Helge Schneider?

Dickinson: Nie gehört.

Ein deutscher Musiker, Entertainer und Schauspieler, der auch Bücher schreibt - mit einem sehr eigenwilligen, absurden Humor. In einem deutschen Blog wurden Ihre beiden Bücher „Lord Iffy und die Spitzen der Gesellschaft“ sowie „Lord Iffy und die Sex Maschine“ mit Helge Schneiders Sinn für Humor verglichen.

Dickinson: Ich hoffe, das ist als Kompliment zu verstehen. Ich habe ja nur zwei Bücher geschrieben. Im Grunde aus Langeweile. Ich war damals auf Tour mit Iron Maiden, wusste in den vielen Pausen zwischen den Auftritten nichts mit mir anzufangen, also begann ich, kurze Geschichten auf Notizblöcke zu schreiben, die ich aus irgendwelchen Hotels mitnahm.

Geschichten über einen Transvestiten aus der britischen Oberschicht, der in die USA auszieht, um TV-Prediger zu werden.

Dickinson: Unter anderem. Ich las die Episoden immer unserer Roadcrew vor. Die fragten ständig: Was passiert als Nächstes? Ich sagte: Keine Ahnung, hab ich noch nicht geschrieben. Also machte ich weiter. So hatte ich irgendwann ein Buch auf Notizblättern geschrieben. Ich ließ es abtippen, ein Verleger meinte, das sei sehr lustig, also veröffentlichte er es. Es verkaufte sich gut, also wollten sie ein zweites Buch. Ich habe sogar mit einem dritten angefangen. Das wartet weiter auf seine Vollendung. Ich hatte einfach keine Zeit mehr, seit ich wieder bei Iron Maiden eingestiegen war und daneben noch Passagiere durch die Welt flog. Davon mal abgesehen, ist Romaneschreiben schwere Arbeit, ich meine: wirklich schwere Arbeit.

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