Brigitte Reimann Brigitte Reimann: Eine Glückssucherin aus Burg

halle/MZ - Wie gegenwärtig sie ist. Und wie schmerzlich das Bewusstsein ihrer Abwesenheit. Es wäre spannend gewesen zu lesen und zu hören, wie sie die niedergehende DDR, der sie in einer Art von Hassliebe verbunden war, reflektiert hätte. Denkbar, dass sie im Herbst 1976 bei jenen aufmüpfigen Künstlern und Intellektuellen gestanden hätte, die sich mit der SED-Führung wegen der Ausbürgerung des Liederdichters Wolf Biermann anlegten und sich deswegen in der Folge teils drastischer Repressalien ausgesetzt sahen.
Aber Brigitte Reimann, eine der begabtesten deutschen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, hat diese Auseinandersetzung nicht mehr führen können, 1973 ist sie an Krebs gestorben, noch vor ihrem 40. Geburtstag. Am Sonntag wäre sie 80 Jahre alt geworden. Trotz ihres vergleichsweise schmalen Werkes ist sie zu keiner Zeit in die Gefahr des Vergessenwerdens geraten: So eindrücklich waren die literarischen Auftritte der Reimann, zu schillernd sind die Legenden, die sich um die maßlose, lebenssüchtige Frau ranken. Eine Glückssucherin, die das alles umfassende Glück nicht gefunden hat.
Nun regt sich auch in Hoyerswerda, einer der sozialistischen Vorzeigestädte wie auch Halle-Neustadt eine war, ein noch lebhafteres Erinnern an die in Burg bei Magdeburg geborene Schriftstellerin. Am Sonntag wird in Hoyerswerda ein Denkmal für die Reimann eingeweiht, die „Große Liegende“ heißt das Werk des Dresdner Bildhauers und zufälligen Namensvetters Thomas Reimann. 60 000 Euro haben der Kunstverein und die Stadt dafür aufgebracht, um die Autorin zu ehren und ihr wenigstens posthum wohl auch Abbitte für den Ärger zu tun, der ihr zuletzt das Leben in der Lausitzer Industriestadt vergällt hatte. Acht prägende Jahre hat sie dort verbracht, im Kombinat „Schwarze Pumpe“ gearbeitet, den Roman „Ankunft im Alltag“ veröffentlicht und auch Texte „zu vier Händen“ mit ihrem damaligen, zweiten Ehemann Siegfried Pitschmann geschrieben, geliebt, gestritten, bis sie 1968 im Unfrieden mit den Partei- und Staatsbürokraten fortging, nach Norden. In Neubrandenburg hat sie eine neue, ruhigere Heimat gefunden, die letzte. Nicht einmal mehr fünf Jahre sollten ihr da noch bleiben.
Das Jahr 1968 stellte in mehrerlei Hinsicht eine Zäsur dar für Brigitte Reimann, es ist ihr Schicksalsjahr. Christina Onnasch erinnert daran in dem jetzt in der Berliner Edition A∙B∙Fischer erschienenen Bändchen „Lebenswege der Brigitte Reimann“. Begonnen hatte der Ärger schon 1965, als das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED die Künstler auf Linie zu trimmen beschloss und unter anderem zahlreiche Defa-Filme verbot. In der Folge verschlechterte sich das kulturpolitische Klima dramatisch, natürlich auch in der Provinz, wo man die ideologische Schlagzahl nach Gutsherrenart erhöhte und Künstler gern unter den Generalverdacht der „bürgerlichen Abweichlerei“ und des „Skeptizismus“ stellte. Ein Klima, unter dem eine freiheitsliebende, idealistische Träumerin wie Brigitte Reimann seelisch sehr gelitten haben muss. Kleinliche Verdächtigungen lokaler Funktionäre, Klatsch über ihre Affären, die Absage des Vorabdrucks einiger Kapitel aus ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ - der Verdruss war enorm. Und die Pläne, Hoyerswerda zu verlassen, nahmen Gestalt an.
Schließlich kam der schärfste Schnitt: die militärische Intervention der Warschauer-Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei, womit der Prager Frühling, für den auch viele DDR-Bürger große Sympathie gehegt hatten, brutal zerschlagen wurde.
In ihrem Tagebuch notiert Brigitte Reimann am 21. August, dem Tag des Einmarsches der Roten Armee in Prag: „Und welche Hoffnungen haben wir auf das ,Modell‘ CSSR gesetzt! Unfaßbar, daß immer noch, immer wieder mit diesen Methoden des Stalinismus gearbeitet wird“.
Und am 1. November des gleichen Jahres bekennt die Reimann ebenfalls im Tagebuch: „Ich war ein gutgläubiger Narr. Seit der CSSR-Affäre hat sich mein Verhältnis zu diesem Land, zu seiner Regierung sehr geändert. Verzweiflung, manchmal Anfälle von Haß.“
Die Schriftstellerin belässt es allerdings nicht beim Zwiegespräch mit sich selbst, sie verweigert die Unterschrift unter eine der üblichen Resolutionen, mit denen sich die DDR-Oberen Zustimmung für ihre Politik einzuholen pflegten. Das gab Ärger, wie nicht anders zu erwarten. Kollegen schützten sie - und, so makaber es klingt, wohl auch die andere, die private Schreckensnachricht des Jahres 1968: Brigitte Reimann war an Krebs erkrankt, im September kam die Diagnose, eine Brust musste ihr abgenommen werden.
Eine Katastrophe in jeder Hinsicht, vor allem psychisch. Die Reimann litt unter dem Verlust ihrer Unversehrtheit, sie war ja eine sehr schöne Frau und für Anerkennung durchaus empfänglich. Nun kämpfte sie mit allem Mut gegen die Krankheit und verlor doch. „Franziska Linkerhand“, ihr großer Roman, ist erst ein Jahr nach ihrem Tod erschienen. Unvollendet.
Christina Onnasch: „Lebenswege der Brigitte Reimann“, Edition A∙B∙Fischer, Berlin, 48 S., 12 Euro.