Braunkohletagebau bedroht Nietzsches Geburtshaus
Röcken/dpa. - Friedrich Nietzsches Geburtshaus und Grab in der kleinen Gemeinde Röcken im südlichen Sachsen-Anhalt sind vom Braunkohleabbau bedroht. Unter den rund 600 Einwohnern und Freunden des Philosophen herrscht große Sorge, dass der beschauliche Ort einem Tagebau weichen muss.
Auf Transparenten ist zu lesen: «In dieser Region ein Tagebau: Nein» oder das Nietzsche-Zitat «Bleib mir der Erde treu». Der Philosoph liebte sein Dorf mit dem Teich nahe der Stadt Weißenfels. Vor mehr als 150 Jahren schrieb er: «Zwischen diesen Gewässern zu gehen, die Sonnenstrahlen auf der Spiegelfläche und die munteren Fischlein spielen zu sehen, das war meine größte Lust.»
1844 wurde er in Röcken geboren, 1900 hier begraben. Das Pfarrhaus, in dem er bis zu seinem fünften Lebensjahr aufwuchs, seine Taufkirche, die Dorfschule und Nietzsches Grab liegen nahe beieinander und bilden ein einzigartiges Ensemble. Drei Tage nach seinem Tod war Nietzsches Leichnam von Weimar nach Röcken überführt worden. Elisabeth Förster-Nietzsche, die ihren geistig umnachteten Bruder in den letzten Jahren pflegte, starb 1935. Sie liegt nun in der Mitte zwischen Bruder und Eltern begraben. Zusammen mit der kleinen liebevoll gepflegte Gedenkstätte ist es ein Pilgerort für Nietzsche-Freunde aus aller Welt.
Noch ist keine Entscheidung getroffen, ob Röcken von der Landkarte verschwinden soll. Aber unter dem Ort lagert Braunkohle, und die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag/Theißen) prüft seit dem Jahr 2006 mit Bohrungen die Qualität der Vorkommen. «Röcken ist für das Verständnis von Nietzsches Philosophie unverzichtbar», sagt der Geschäftsführer der Nietzsche-Gesellschaft, Ralf Eichberg, als ein Gegner der Braunkohlepläne. Als die Mibrag mit ihren Arbeiten begann, verfasste das Gremium ein Memorandum und sammelt seitdem Unterschriften: «Die einzigartige kulturhistorische Bedeutung Röckens muss man zum Wohl der Bevölkerung ins Feld führen», betont Eichberg.
Das Unternehmen hat indes für seine Erkundungen der Braunkohle ein rund 8200 Hektar großes Gelände abgesteckt. Ende dieses Jahres sollen die Bohrungen abgeschlossen sein und ausgewertet werden. Welche Orte in der Region von den Baggern bedroht sind und welche Vorkommen vermutet werden, dazu will die Mibrag keine Angaben machen. «Das erzeugt Angst bei den Bewohnern», sagt Mibrag-Sprecherin Angelika Diesener. Die Förderung der Braunkohle in diesem Gebiet könnte frühestens im Jahr 2025 beginnen. Das Unternehmen braucht neuen Brennstoff, weil es im nahe gelegenen Profen bis 2013 ein Kraftwerk bauen will. Ein Partner für die Investition von einer Milliarde Euro fehlt der Mibrag bislang noch.
Falls Röcken den Baggern weichen muss, hält Eichberg von einer möglichen Umsetzung des Nietzsche-Ensembles ähnlich der Emmauskirche des der Braunkohle geopferten sächsischen Ortes Heuersdorf nichts: «Das wäre wie Disneyland. Der authentische Charakter des Ortes wäre zerstört.» Die Bewohner von Röcken und des Nachbarortes Sössen wehren sich mit einer Bürgerinitiative gegen eine mögliche Zerstörung ihrer Dörfer. «Eine Befragung hat ergeben, das rund 80 Prozent der Bevölkerung dagegen ist», sagt Rainer Küster, Sprecher der Bürgerinitiative Lützen. Neben dem Verlust ihrer Heimat führen sie gegen eine Abbaggerung auch die Umweltverschmutzung ins Feld.