Bob Geldof Bob Geldof: Trotz allem glücklich
Halle (Saale)/MZ. - Ein "Hidden Track", ein verborgenes Lied also, läuft wohl bei jedem wahren Star im Hintergrund mit. Wie sonst wollte man auch den Spagat zwischen öffentlicher Erwartung und Privatsphäre aushalten, der angesichts der medialen Spiegelungen ohnehin eine permanente Zerreißprobe ist? Auf der jüngsten CD von Bob Geldof aber wirkt der Bonus-Song nach dem Ende der offiziellen Liste wie ein Bekenntnis und eine Befreiung zugleich. Intimer und ehrlicher als mit "Young and sober" ist der Preis einer solchen Ausnahmekarriere selten besungen worden.
Zur Erinnerung: Seinen Aufstieg begann der 1951 geborene Ire nach Jobs als Lastwagenfahrer, Englischlehrer und Journalist 1976 an der Spitze der Boomtown Rats. Drei Jahre später kam "I don't like Mondays", noch einmal drei Jahre später die Hauptrolle in der "The Wall"-Verfilmung von Pink Floyd und schließlich, als letzter und größter Satz dieses Dreisprungs, das Live-Aid-Konzert vom 13. Juli 1985. Danach war aus dem zornigen jungen Mann endgültig ein Global Player geworden - allerdings eher auf politischem Parkett, was der popkulturellen Integrität bekanntlich eher abträglich ist.
Dass das Engagement für soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen den Hunger in Afrika auch Zeit und Kraft bindet, beweist ein Blick auf Geldofs Diskografie: Ganze vier Alben sind seit Beginn seiner Solo-Karriere 1986 erschienen, auf dem fünften vermerkt er nun akribisch die biografischen Eckdaten: "58 1 / 2" steht hinter dem Namenszug "b. Geldof". Und der Titel auf dem Cover ist natürlich blanke Ironie: "How to compose popular Songs that will sell".
Ein Rezeptbuch für kommerziell erfolgreiche Songs hat Bob Geldof bis heute nicht gefunden, inzwischen sucht er wohl auch nicht mehr danach. Seine beste Platzierung in den Charts - Rang 15 - erreichte er hierzulande vor 21 Jahren mit "The Vegetarians of Love". Auch was seither geschah, schildert nun "Young and sober": Erst verlor er seine Frau Paula Yates, mit der er drei Töchter hatte, an seinen Freund Michael Hutchence, den Sänger der Band INXS. Dann starb Hutchence unter ungeklärten Umständen - und schließlich fand man die TV-Moderatorin Yates mit einer Überdosis Heroin im Blut. Sex and Drugs and Rock'n'Roll - eigentlich ist weniger nötig, um einen Mann aus der Bahn zu werfen.
Und so könnte der Rückblick auf die "jungen und nüchternen" Tage auch mit den letzten Worten der vorletzten Strophe enden: "I grew drunk and older". Aber nicht so bei Bob Geldof: Statt des Teufels hockt ihm nun der Herr lächelnd auf der Schulter, mit einer neuen Frau sieht er die Kinder aufwachsen - und ist, so vermeldet er hörbar glücklich, wieder in einem besseren Leben angekommen.
Wer den Beweis dafür sucht, findet ihn in den zehn regulären Songs des Albums. Geldof wurzelt hier noch immer in der Folklore seiner Heimat und in den Rock-Traditionen seiner Jugend, kann inzwischen aber auch immer wieder Querverweise in die eigene Backlist legen. Mit "How I roll" gibt er eine entspannte Eröffnung vor, schon "Blowfish" aber rumpelt durch ein Megaphon wie die trunkenen Hymnen des Barpoeten Tom Waits. In "She's a Lover" wird ein unlösbares Liebesdilemma mit der Lässigkeit des New Wave betrachtet, das eigentliche Credo aber liefert "To live in Love" - ein einfacher Choral auf die Macht der Liebe, unter dessen Melodie es aber vibriert und pulsiert. Später werden "Dazzled by You" und "Here's to You" als Grüße an die Rolling Stones und Bob Dylan vorbeigewunken, wird in "Systematic Six Pack" der Jugendwahn beerdigt und in "How" der ätherische Falsettgesang kultiviert. Im Zentrum des Ganzen aber steht ein so übermütig euphorisches, leichtsinniges Lied, dass man schon beim ersten Hören den Frühling anbrechen fühlt.
Im Video zu "Pretty little Thing" sieht man Geldof mit seinem Geiger Vince Lovepump über ein Feld laufen, auf dem ein Trampolin steht. Und während die Violine schmachtet, springt der Sänger in immer gewagteren Volten auf dem federnden Netz - und nur die ins Gesicht gezogene Kapuze lässt ahnen, dass Bob Geldof die echten Salti inzwischen wohl lieber einem Double überlässt.
Sei's drum: So viel Glück war diesem Mann kaum noch zuzutrauen. Und weil er es mit seinen Fans teilt, will er ihnen auch die jüngsten Todesfälle nicht vorenthalten. Sein Vater, schreibt er im Booklet, sei bald nach den Aufnahmen gestorben - und habe deren Ergebnis zuvor noch mit "Nicht schlecht" bewertet. Beeindruckter zeigte sich Geldofs älteste Schwester, die "How to compose . . ." als sein bestes Album bezeichnete - kurz bevor auch sie starb: "Jeder nimmt immer Abschied", schreibt Geldof.
Nach dem Ende von "Young and sober" gibt es übrigens noch eine Durchsage, in der ein Stadionsprecher den Fahrer eines verwaisten Autos sucht. Er ist schwer zu verstehen, weil er offenbar seine dritten Zähne zu Hause vergessen hat. Der Greis, der da nuschelt, ist Bob Geldof. Man darf ihn sich - trotz und nach alledem - offenbar als glücklichen Mann vorstellen.