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Biografie über die Tänzerin Gret Palucca

Von Jörg Schurig 10.03.2009, 11:22

Dresden/dpa. - Es gibt nur wenige Künstler, deren Name als Programm wahrgenommen wird. Die Tänzerin Gret Palucca (1902-1993) gehört dazu.

Palucca heißt nicht nur Ausdruckstanz, Palucca machte Schule - auch mit einer Lehranstalt. 84 Jahre nach ihrer Gründung ist die Palucca Schule in Dresden noch immer populär. Bis ins hohe Alter erteilte die Namensgeberin dort selbst Unterricht. Die Hamburger Journalistin Susanne Beyer schrieb nun eine Biografie, die viele Einblicke ins Privatleben der Tänzerin gewährt. Am Dienstag ist der Band «Palucca. Die Biografie» im Berliner AvivA-Verlag erschienen.

Beyers Sicht auf die legendäre Künstlerin ist erst seit wenigen Jahren in der Form möglich. Denn Paluccas Privatkorrespondenz blieb bis 2003 gesperrt. Tausende Briefe füllten im Archiv der Akademie der Künste Berlin die Regale. «Aus den herzergreifenden und sachlichen, barschen und liebevollen Briefen ihres Nachlasses lässt sich viel herauslesen. Palucca allein, der Zeit enthoben und ohne die Leute, die sie umgaben, bleibt ein Rätselwesen. Zurückgeholt in ihre Zeit und ihr Umfeld bekommt sie Konturen: Das Prinzip Palucca wird sichtbar», schreibt die 39 Jahre alte Journalistin im Vorwort ihres Bandes.

Beyer, die als Kulturredakteurin beim «Spiegel» arbeitet, stieß an ihrem langjährigen Zweitwohnsitz Dresden fast zwangsläufig auf das Thema. «Ich habe gemerkt, dass Palucca hier nach wie vor eine Persönlichkeit mit Strahlkraft ist», sagt die Autorin und spricht von einem ambivalenten Bild. Auf der einen Seite stehe Paluccas Leistung, über Jahrzehnte eine Kunstform popularisiert und auf hohem Standard verkörpert zu haben. «Ich habe aber auch geschaut, wie ihr das gelang, ob sich aus ihrem Privatleben etwas ableiten lässt, was sich zum Beispiel bei Paluccas Umgang mit den Mächtigen auswirkte.»

Umgang mit den Mächtigen hatte Gret Palucca vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. 1936 tanzte sie unter den Augen Hitlers zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Berlin ein Solo. Schon zuvor war sie bei den deutschen Tanzfestspielen zum Star avanciert. «Sie galt als Stolz der NS-Nation, sogar als "deutscheste Tänzerin", heißt es im Buch. Später erhielt die «Halbjüdin» Auftrittsbeschränkungen. «So wurde Palucca zu einer Zwischenfigur: nicht ganz erwünscht, aber auch nicht ausgegrenzt.»

Nach dem Krieg galt ein Leitwort Paluccas als Motto für den Neubeginn an ihrer Schule: «Mit nichts anfangen». Beyer beschreibt die Widrigkeiten einer Tanzausbildung im zerbombten Dresden, mit eiskalten Ballettsälen und hungernden Eleven. Dass Palucca dank Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht schon am 1. Juli 1945 den Unterricht fortsetzte, war in schwerer Zeit ein trostreiches Zeichen. Beyers Biografie zeigt Palucca stets vor zeitgeschichtlichem Hintergrund, was die Lektüre nicht nur für Tanzfans interessant macht.

Auch wenn das Buch keine wirklich neuen Fakten zutage fördert, enthält es einige bisher nur wenig bekannte Details. So hat Beyer in den Briefen Adressen gefunden und die Geschichte von Paluccas Vorfahren recherchiert. Auch das gute Ende der Beziehung zu ihrer einstigen Lehrerin und langjährigen Intimfeindin Mary Wigman war bislang nur Insidern vertraut. Beyer hat zudem viele Schauplätze aus Paluccas Leben besucht, darunter die Inseln Sylt und Hiddensee, wo die Tänzerin auf dem Friedhof von Kloster begraben liegt.

Auch aus der Palucca Schule kommt nach dem ersten «Querlesen» der Druckfahne von Beyers Werk Lob. «Für uns ist Palucca in erster Linie als Künstlerin und Pädagogin interessant», sagt der Sprecher der Tanzhochschule, Konrad Hirsch. Wenn sich Autoren Palucca im Kontext privater Beziehungen, Korrespondenzen und Politik widmen, sei das völlig in Ordnung - «so lange die Fakten stimmen und nicht zuviel hineininterpretiert wird». Hirsch hat den Eindruck, dass Beyer mit Paluccas Biografie respektvoll umging.

Susanne Beyer  

Palucca

Die Biografie

AvivA Verlag Berlin

380 S., Euro ca. 24,80  

ISBN 978-3-932338-35-9