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Biografie Biografie: Fischer räumt mit Mahler-Klischees auf

Von Irmgard Schmidmaier 26.01.2004, 18:15

Wien/dpa. - Mit den Klischees über Gustav Mahler aufräumen wollte der Autor Jens Malte Fischer in seiner neuen, über 900 Seiten starken Biografie. «Das gängige Bild des leidenden Mahler kann man nicht ausradieren, aber es ist nur eine Seite des Komponisten», sagte Fischer der dpa. «Mahler war aber vor allem ein Getriebener. Sein enormer Ehrgeiz war aus seiner Lebensphilosophie genährt: Er wollte, ganz im Sinne Goethes, aus dem, was eine Schöpferinstanz an Talent und Können in ihn hineingelegt hat, das Beste machen. Das war ihm Pflicht und Schuldigkeit. Aus dieser Auffassung resultiert sein ungeheurer Antrieb, seine faszinierende Schaffenskraft.»

In der umfangreichen Biografie wechseln zum Teil weit ins Zeitgeschichtliche und Soziale ausholende, beschreibende Kapitel zur Lebensgeschichte mit analytisch-wissenschaftlichen zum Werk des Komponisten ab. «Auf diese Weise ist der musikalische Werdegang Mahlers in sein Leben eingebettet», erläutert der Biograf. «Ich habe das Buch bewusst so angelegt, dass die Biografie für sich allein interessant ist und der musikwissenschaftlich interessierte Leser tiefere Information findet.»

Mahler sei ihm «vertrauter und fremder geworden» während der dreijährigen intensiven Arbeit an dem Buch. Für Fischer ist die Reduktion der Person Mahler «auf den leidenden großen Meister, der an der Welt verzweifelt» eine rückwirkende Verklärung der Anhänger: «Das liebe Genie war er nicht. Er war ein Mensch mit allen Widersprüchen, sicher nicht einfach und auch sehr fordernd. Er hat viele Menschen, auch seine Frau, überfordert.»

Auch der Einfluss Wiens auf den Musiker werde rückblickend überbewertet: «Wien hat sicher in den Studienjahren eine Rolle gespielt in seinem Leben, später aber war die Stadt für ihn nicht entscheidend. An dem oft zitierten gesellschaftlichen Leben der Jahrhundertwende hat er gar nicht wirklich teilgenommen, dazu war er viel zu beschäftigt.» Mahler habe andere Künstler und - als Chef der Oper - sicher Wien geprägt, aber nicht Wien ihn: «Er war 40 Jahre alt, als er nach Wien zurückkam. Da war er in seiner künstlerischen Entwicklung fix und fertig.» Seine Musik sei längst nicht so modern wie die anderer Zeitgenossen: «Ein Neuerer war er wohl nicht, er hat aus dem geschöpft und das vollendet, was zu der Zeit möglich war.»

Eine Frage ist für Fischer offen geblieben: «Ich würde ihn gerne fragen, ob das stimmt, was seine Frau Alma überliefert hat: Ob er wirklich am Ende seines Lebens gesagt hat: "Ich habe nur Papier gelebt". Dass er sozusagen sein gesamtes Werk weggewischt hat und sagte, er hätte mehr leben sollen - das kann ich mir nicht vorstellen. Aber wenn er es wirklich gesagt hat, wüsste ich gerne, wie er es gemeint hat».

Jens Malte Fischer: Gustav Mahler. Der fremde Vertraute; Zsolnay Verlag, Wien; 992 S., Euro 45,00; ISBN 3-552-05273-9