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Bildhauer Klaus F. Messerschmidt Bildhauer Klaus F. Messerschmidt: Die Geschichte eines Künstlerlebens

Von Christian Eger 02.07.2015, 06:39
Bildhauer, Grafiker und Schriftsteller: Klaus F. Messerschmidt, Jahrgang 1945
Bildhauer, Grafiker und Schriftsteller: Klaus F. Messerschmidt, Jahrgang 1945 Günther Bauer Lizenz

Halle (Saale) - Es ist ein schöner Zufall, dass dieses Buch dieser Tage erscheint. Mitten hinein in ein Festprogramm, das 100 Jahre Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle feiert.

Ein Jubiläum, das sich recht smart und farbig, aber im Blick auf die ostdeutsche Situation doch seltsam vergangenheitsvergessen hinzieht. Aber das muss nicht verblüffen. Erinnerung ist, anders als das Vergessen und entgegen gängiger Meinungen, keine „kollektive“ Tätigkeit. Erinnerung ist immer konkret. Sie setzt den Einzelnen voraus. Einen, der sich aussetzt, der fragt, fühlt, erkennt.

Einer der bedeutendsten mitteldeutschen Bildhauer

Das ist, kurz gefasst, das künstlerisch-literarische Programm des Klaus F. Messerschmidt, der von 1966 bis 1972 an der Burg Giebichenstein studierte und heute zu den bedeutendsten mitteldeutschen Bildhauern der Gegenwart zählt. Man kennt seine größeren Werke: das Müntzer-Denkmal in Stolberg, die „Kreuzigungsgruppe vor Roter Wand“ in der Merseburger Neumarktkirche, die Nietzsche-Gruppe in Röcken, das Bach-Denkmal in Mühlhausen, die Stele für die „Timberwölfe“ in Halle, die 1945 die Stadt befreiten. Alles Arbeiten, die um die Vergegenwärtigung von Vergangenheit kreisen.

So wie das literarische Projekt, dem sich der 1945 in Sangerhausen geborene und in Halle lebende Künstler widmet: Eine als Zeitroman gestaltete Autobiografie, die das Schildern von Gesellschaft, Politik und Landschaft einschließt. 2010 erschien der erste Teil des „Lebenslauf deutsch“ genannten Werks, das familienhistorisch im 19. Jahrhundert beginnt („Das sprechende Auge“), um im zweiten Teil („Die Angst der Spaßmacher“, 2012) die 50er Jahre in Sangerhausen zu zeigen. Nun liegt der dritte und letzte Band dieser Mitteldeutschland-Saga vor: 365 Seiten „Bedenkliche Erinnerungen“.

Das Mysterium des Mehlschwänzchens

Der Haupttitel des Buches ist gewöhnungsbedürftig. „Das Mysterium des Mehlschwänzchens“ - eine Zeile, die sofort mindestens ein Fragezeichen aufruft. Das Mehlschwänzchen ist ein Schmetterling, ein Nachtfalter, der auch am Tage unterwegs ist, der unwirtliche Witterungen aushält, immer auf der Suche nach Wärme. Kurzum, ein zartes Tier, dessen Fähigkeit „zum Überwintern in kühler Zeit“ dem Künstler Messerschmidt vertraut ist als ein „Bild vom Auferstehen, vom Weitermachen“. Und weil dessen Impuls letzthin ein Geheimnis bleibt, ist vom „Mysterium“ die Rede. Auch, weil es „so gut klingt“.

Man muss, um diesen letzten Teil der Trilogie zu loben, erst einmal entwarnen. Was hier vorliegt, ist kein stilistisch enthemmter Roman, in dem man die wahren Elemente mit der Lupe suchen muss. Im Gegenteil. Der gelernte Tischler Messerschmidt bietet adressbuchgenaue Erinnerungen an seine Künstlerlaufbahn, die nach einer Holzgestalterausbildung im erzgebirgischen Schlema 1966 an der „Burg“ in Halle begann, denn der DDR fehlte, wie Messerschmidt schreibt, „ausgerechnet noch eine Holzgestaltung auf Hochschulniveau“, dann hatte „der Staat alles, aber auch alles, was er brauchte“.

Auf der nächsten Seite lesen Sie unter anderem mehr über Messerschmidts Eintritt in die SED.

Ein Zungenschlag, der eine ironische Selbstdistanzierung einschließt. Im Betrieb der „Burg“ blieben die Holzmenschen Außenseiter. „Wir bekamen allmählich einen Ruf der Art, dass immer, wenn abscheuliche Arbeiten auftauchten, der Schreckensruf ertönte: Das waren doch wieder die Holzleute!“

Messerschmidt zeigt „die Burg“ von außen und innen, die Idylle und deren verschattetes Betriebssystem. Da ist die stete Freude, das zu erleben: „Jeden Morgen über die Saale“ zu ziehen, „im Angesicht des Giebichensteins - etwas wie ein Traum!“ Er berichtet vom Neid der Ausgeschlossenen, deren Können dem eigenen Selbstbild nicht standhielt, die immer wieder vergeblich mit Werkmappen am Burgtor auftauchten. Er zeigt die Lehrer: „die versehrten, behinderten; die Einbeinigen, die Einarmigen, die, an denen ich nah dran war“. Willi Sitte, der Institutsdirektor, taucht auf: der „großartige Zeichner und Grafiker“, aber „nicht ganz so starke Maler“. Messerschmidt schildert die erotischen und geistigen Abenteuer, die ausschweifenden Nächte, die legendären Burgfeste. „Wir waren die 68er des Ostens, nur eben ohne linkische Begeisterung.“ Aber nicht ohne ideologische Einnordung und primitiven politischen Konformismus.

Messerschmidts "übelstes Versagen"

Wie letzterer wirkte, das zeigt Messerschmidt am eigenen Fall. Wie er als Künstler in Merseburg angesiedelt wurde, wo er Freunde fand, eine Familie gründete und mit seiner Frau in Wölkau einen alten Bauernhof erwarb. Wie er sich an Denkmalaufträgen (Thälmann und Beimler) abarbeitete. Wie er sich in Verhältnissen einrichtete, die keine künstlerischen Wettbewerbe zuließen, denn „das hätte manchen Professor in arge Schwierigkeiten bringen können“. Dass er sich trotz besseren Wissens Anfang der 1980er Jahre in die Staatspartei SED aufnehmen ließ, hält Messerschmidt für ein großes Versagen, „mein übelstes Problem“, das ihn mit bis heute nicht nachlassender Scham ausfüllt. Was er in dem „Schuld und Reue“ genannten Kapitel zur Sache mitzuteilen hat, liest man selten im Osten.

„Wer waren wir?“, fragt Messerschmidt in Varianten. Die Antwort überlässt er dem Leser. Der sieht in der Messerschmidt-Generation die Kinder buchstäblich wüster Verhältnisse, einer autoritären Situation, die im Gesellschaftlichen und Menschlichen - wahrscheinlich sogar im Erotischen - nicht folgenlos bleiben konnte („haben wir Herzen abgeschnitten?“). Er sieht auch, wie es Künstlern unter Anstrengungen gelang, sich an und mit ihrer Arbeit zu bilden und zu befreien. Wie sich selbst gegenüber schonungslos, dabei keinesfalls humorfrei Messerschmidt das alles zur Sprache bringt, macht sein Buch zu einem Ereignis. Einen Ratschlag inklusive: „Man muss sein Leben in der Gegenwart ändern, nicht in der Vergangenheit.“ (mz)

Klaus F. Messerschmidt: Das Mysterium des Mehlschwänzchens. Mitteldeutscher Verlag, 365 Seiten, 12,95 Euro
Klaus F. Messerschmidt: Das Mysterium des Mehlschwänzchens. Mitteldeutscher Verlag, 365 Seiten, 12,95 Euro
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