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Bildband über Nachkriegsdeutschland Bildband über Nachkriegsdeutschland: Unsere Mütter unsere Väter

Von Christian Eger 30.09.2015, 19:50
Brandenburger Tor, West-Berlin 1959
Brandenburger Tor, West-Berlin 1959 bpk/Konrad Hoffmeister Lizenz

Halle (Saale) - Mit dem Ende des Krieges beginnt der Kampf um Berlin. Es ist ein buchstäblicher Nachkrieg, der sich von Mitte 1945 an vollzieht: politisch, vormilitärisch und scharf propagandistisch geführt. Bis 1961 ist die unter den Siegermächten aufgeteilte Stadt kein gemütlicher Ort. Immer ist Krise. Immer diplomatische Hysterie. West-Berlin - die DDR schreibt „Westberlin“ ohne Bindestrich, um den Ort als eine völlig eigenständige Einheit zu markieren - gilt als „kapitalistische Insel“ im von der Sowjetunion beherrschten Meer.

Die Insel wird von den Russen belagert. Zehn Jahre nach der erzwungenen Luftbrücke stellt der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow 1958 den Westmächten ein Ultimatum. Er fordert die Umwandlung West-Berlins in eine freie, entmilitarisierte Zone. Die Sowjetunion hofft langfristig auf eine Eingliederung West-Berlins, die Westmächte halten dagegen, bis 1961 die Mauer Fakten schafft.

Inmitten dieser notorischen Krise versuchen 3,2 Millionen Menschen, den Takt eines zivilen, eines erfüllten Lebens zu finden - den Ausnahmezustand auszuhalten oder auszublenden. Wie das aussah, wie das gelang, zeigen die jetzt im Leipziger Lehmstedt Verlag erstmals veröffentlichten frühen Berlin-Bilder des ostdeutschen Fotografen Konrad Hoffmeister - gehoben aus dem 14 000 Bilder zählenden „Berlin-Archiv“ im Hoffmeister-Nachlass der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Eine Entdeckung, die nachwirken wird.

Das Äußerste an Widerstand

Der 2007 im Alter von 81 Jahren gestorbene Ost-Berliner Künstler, der im Feuilleton als Mann der „Alltagsleute“ geführt wird, gehört zu den bedeutendsten unter den überregional eher unbekannten Meistern der DDR-Fotografie: ein entschiedener Einzelgänger, ein hoch reflektierter Workaholic, ein Mensch mit Eigenwilligkeiten, was ihm den Ruf als „Kauz“ eintrug.

In Hannover hatte der gebürtige Vorpommer als Assistent des Fotografen und Bauhaus-Schülers Otto Umbehr (genannt Umbo) gearbeitet, bevor er von 1950 bis 1952 in Magdeburg Fotografie studierte, um 1953 als Fotografie-Dozent an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee zu ziehen. Das geht gut bis 1956. Hoffmeister, der kunstpolitischen Einmischungen überdrüssig, tritt aus der SED aus. Im Jahr 1956 ein Paukenschlag. „Das Äußerste an Widerstand, zu dem ich fähig war“, sagt er später. Seine Stelle in Weißensee erhält der Kollege Arno Fischer. Aber Hoffmeister hält sich als gut bezahlter freier Fotograf - zuletzt vor allem für Architektur. Und nebenbei fotografiert er Berlin, in dem er von Anfang an im Scheunenviertel lebt.

Auch dort entstanden die rund 170 Duotone-Aufnahmen, die Matthias Bertram  unter dem Titel „Von Panik keine Spur“ als Bildband präsentiert. Ein Slogan, der sich auf die Berlin-Krise von 1958 bis 1961 bezieht. Tatsächlich ist man von der ersten Seite an mitten im Geschehen. Hoffmeister zeigt den Aufmarsch von NVA-Truppen am 1. Mai 1960 Unter den Linden. Da ist ein etwa achtjähriger Junge, der - mit dem Rücken zum Betrachter - allein gegen die Truppe steht. Da sind Militärsportler, die Schauübungen vor dem Berliner Dom veranstalten: die DDR, eine von innen aufgerüstete Gesellschaft.

Von Westen her sieht man eine Massendemo vor dem Reichstag am selben Tag. „Gebt die politischen Gefangenen in der Zone frei!“ fordert ein Transparent, der Regierende Bürgermeister Willy Brandt läuft rauchend mit einem seiner Söhne durch die Menge. Wir sehen die DDR-Kontrollen (und eine Verhaftung) an der Friedrichstraße, sehen West-Wechselstuben, -Kinos und -Zeitungsstände.

Bierkanne und Pferdefuhrwerk

Alles ist da, aber tatsächlich keine Spur von Panik. Das Politische ist eine Randerscheinung mit und neben dem sich der Alltag ereignet. Im Vorwort zitiert Matthias Bertram eine Weißensee-Kunststudentin von 1956: „Überhaupt, ,Leben!’ ist unsere Devise, denn wir (...) sehen keine schöne Zukunft vor uns. Aber noch ist kein Krieg und man darf sich nicht vorher so viele Gedanken machen, es sei denn ihn abzuwenden, aber wie!!!“

So zeigt Hoffmeister den Alltag: das Feierabendbier, das Jahrmarktsvergnügen, den Umzug, das Spiel auf der Straße und im Hinterhof. Er zeigt Ost- und West-Berlin, aber wir sehen das Nachkriegsdeutschland. Sehen jene, die um 1940 geboren worden sind: unsere Mütter, unsere Väter - unterwegs mit der Bierkanne oder als eingebildete Paddler in einem Koffer.

Es fällt auf, wie leer die Berliner Innenstadt im Nachkrieg war, wie wenig motorisiert der Verkehr. Bei Umzügen sind Pferdefuhrwerke unterwegs oder die Menschen ziehen ihre Karren. Die äußere Verwahrlosung in Folge des Krieges ist sinnfällig, die Dürftigkeit in allem. Aber auch wenn von Panik keine Spur ist, so doch von tiefem Ernst.

Es ist der Ernst der jungen Frauen. Immer schauen sie - im Gegensatz zu den Männern an ihrer Seite - gesammelt, beinahe fordernd in die Kamera. Auch Eva-Maria Hagen - der einzige Ost-Star im Buch - zeigt kein Lachen. Es ist, als würden hier alle auf etwas warten, etwas, das man haben will. So wie das Mädchen, das 1958 auf dem Alex in sein Radio hineinlauscht. Es hört etwas, das es aus dem Alltag löst. Etwas, dem es folgen will. (mz)

Konrad Hoffmeister: Von Panik keine Spur. Berlin 1958-1961. Lehmstedt Verlag, Leipzig, 208 Seiten, 29,90 Euro

Schauspielerin Eva-Maria Hagen auf einem Ball
Schauspielerin Eva-Maria Hagen auf einem Ball
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Volle Fahrt voraus: Im Scheunenviertel
Volle Fahrt voraus: Im Scheunenviertel
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Konrad Hoffmeister
Konrad Hoffmeister
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