Biermann in Leipzig Biermann in Leipzig: Der Wolf leidet nicht unter einer Beißhemmung
Leipzig/MZ. - Auf den Tag genau 15 Jahre nach seinem Konzert in der eisigen Leipziger Messehalle ist er wieder gekommen - vielleicht nicht gerade, um Gericht zu halten, aber solch ein Jubiläum verlangt natürlich Bilanz. Was aus einem Menschen geworden sei, ob er sich verändert habe, zum Schlechten oder zum Guten - "das wollt ihr von mir wissen", sagt der 68-Jährige: "Und das ist es, was ich von euch wissen will."
So macht er das. Duzt die Gemeinde, auch wenn die Zeit der bindenden Genossenschaft vorüber ist. Aber die Zeitgenossenschaft bindet, selbst in der Attacke. Biermann ist immer besonders wach (und gut), wenn er Gegner hat. Es gab (zum Glück, wenn man so will) selten Mangel daran: Politbüro, Stasi, das ganze eklige Paket. Und bis jetzt zeigt der alte Wolf keine Zeichen von Beißhemmung, auch hier nicht. Dass ihm freilich ausgerechnet der Hausherr und Wendeheld, Pfarrer Christian Führer, den Watschenmann für polemische Lockerungsübungen geben muss, ist etwas, das Biermann wirklich nicht nötig hat. Führer hatte den bärbeißig-empfindsamen Poeten offensichtlich verärgert, als er ihn launig als "explosive Mischung" ankündigte und indirekt auf seine, Biermanns, Breitseiten gegen die "Hurra-Pazifisten" der deutschen Friedensbewegung anspielte.
Beharrlich nachtragend nimmt der zornige Barde den Pfarrer immer wieder ins Visier. "Mein Glaube ist übrigens noch verrückter als ihrer, Herr Pfarrer - ich glaube an die Menschen" ist so ein Satz, über den man sich als Christenmensch und Biermannfreund richtig ärgern könnte. Doch Biermann ist oft auch milde - im Ton, niemals in der Sache. Da ist er scharf, da blitzen die Äuglein, da straft die Stimme das Alter Lügen. Alt ist dieser Mann nicht, solange er nur seine geliebte Dialektik lustvoll zelebrieren kann.
Die hat er beim Herrn Brecht ("das Beste, was die DDR überhaupt hervor gebracht hat") geübt. So nimmt er die Welt und zuweilen auch sich selbst in kritischen Blick. Doch, das kann er. Damals, bevor die Genossen ihm das Auftreten verboten, sagt Biermann, habe er nicht sicher gewusst, "ob ich Kaisergeburtstagssänger oder Drachentöter werden sollte. Es entschied sich durch die Weisheit der Partei". Da lacht das Volk, viele bekennende Freunde des Thierse-Bartes darunter. Und manches ihrer Kinder auch.
Es ist noch ein heiterer Abend mit Gänsehautfaktor geworden. Man erinnert sich bei Liedern wie der "Ermutigung" an Zeiten, da einem bitter zumute sein konnte. Und fröhlich: Wie unsereins vor 28 Jahren am Tage des Kölner Biermann-Konzertes, dessen Übertragung die ARD angekündigt hatte, im Leipziger Westen seinen ersten Fernseher erwarb. Pikanterweise vom DDR-Ehekredit bezahlt, gab das Stassfurter Modell nach Montage einer Dachantenne endlich auch das gewünschte Westbild her.
Und heute? "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu", singt Biermann. Dass er den Kindertraum vom Kommunismus nicht mehr träumen kann, sagt er. "Die Kommunisten waren so blöd, den Himmel auf die Erde zwingen zu wollen - und führten in die schlimmste Hölle." Über seinen Freund Jürgen Fuchs spricht er. Der Dichter ist vor fünf Jahren gestorben, vielleicht an Strahlenfolgen aus der Stasi-Haft: "Macht euch keine Sorgen, wir haben keine Paranoia. Aber man kriegt sein Grauen davon." Fuchs sei etwas mehr Christ als Kommunist gewesen. Und schon als junger Kerl ein weiser Mann. Da möchte man ihn dann doch drücken, den ketzernden Gottsucher Biermann.