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Bewundert und gehasst: Walther Rathenau

Von Sibylle Peine 27.11.2012, 10:52

Berlin/dpa. - Die Attentäter lauerten in einem Auto in einer Seitenstraße des vornehmen Berliner Stadtteils Grunewald. Wie erwartet, nahm Außenminister Walther Rathenau in seinem schwarzen, offenen Coupé diesen Weg von seiner Villa zu seinem Dienstsitz im Zentrum der Hauptstadt.

Die Attentäter überholten seinen Wagen, schossen auf ihn und warfen sicherheitshalber noch eine Handgranate. Rathenau verblutete noch am Ort des Anschlags. In der krisengeschüttelten Weimarer Republik markierte dieser 24. Juni 1922 einen neuen Höhepunkt der Gewalt.

Ein Jahr zuvor hatten rechtsextreme Terroristen den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger umgebracht. Walther Rathenau stellte als erfolgreicher Unternehmer, Jude und «Erfüllungspolitiker» die vielleicht noch größere Hassfigur dar. Als Außenminister hatte er versucht, nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg den Reparationsforderungen der Franzosen im Rahmen des möglichen nachzukommen. In den Augen nationalistisch-völkischer Kreise hatte er damit sein eigenes Todesurteil gesprochen.

Noch 90 Jahre nach dem Attentat ist Rathenau einer der faszinierendsten deutschen Politiker. Die israelische Historikerin Shulamit Volkov, Spezialistin für deutsch-jüdische Geschichte, hat nun eine neue Biografie vorgelegt. In erfrischender Kürze gelingt ihr nicht nur ein prägnantes Porträt des Unternehmers und Politikers, sondern vor allem auch des Menschen Walther Rathenau. Sie zeigt ihn als einen in vielfacher Hinsicht zerrissenen Mann - zerrissen zwischen Judentum und Deutschtum, zwischen schöngeistigen Ambitionen und dem Willen zur politischen Gestaltung, zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und der Loyalität zu seinem Vater, zwischen der Neigung zur Einsamkeit und der dauernden Suche nach Umtriebigkeit und Geselligkeit.

Sie porträtiert ihn als einen Menschen mit Ecken und Kanten, der bewundert und gehasst wurde, der im Laufe seines Lebens so unterschiedliche Positionen einnahm, dass er vielen als eine Art Wendehals erscheinen musste und der es sich folglich mit fast allen verdarb.

Tatsächlich war Rathenau ein Mann, der Zeit seines Lebens zwischen allen Stühlen saß. Er, der Jude, erschien in seiner Jugend wie ein krasser Antisemit. In einem frühen Text empörte er sich über die «südöstlich gestimmte Erscheinung» vieler Juden, über ihr «verwahrlost schiefes und schlaffes Einhergehen». Er verlangte die vollkommene Assimilierung, «deutsch geartete und erzogene Juden». Doch früh merkte er selbst, dass er trotz aller Anpassung, ja sogar trotz seines Reichtums, in der deutschen Gesellschaft an eine gläserne Decke stieß: «In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.»

Obwohl Rathenau in die Fußstapfen eines Vaters trat und die AEG zu einem mächtigen Konzern weiter ausbaute, war er doch immer wieder geneigt, eine Künstlerlaufbahn einzuschlagen. Er hatte sowohl starke malerische wie literarische Interessen und Begabungen. Über viele Jahre war die Literatur für ihn geradezu ein Ventil für seine unerfüllten politischen Ambitionen. Die Zahl seiner Schriften ist geradezu erschlagend.

Rathenau heiratete nie, ein Umstand, der immer schon zu Spekulationen Anlass gab. Volkov hält sich als seriöse Historikerin an die Faktenlage. Bis heute gibt es keine konkreten Belege, dass er homosexuell war. Erhalten sind einige schwärmerische Briefe an Männer allerdings auch an Frauen, mit denen er vor allem einen geistigen Austausch pflegte. Die engste Beziehung gab es wohl zu Lili Deutsch, pikanterweise die Frau eines Kollegen und Rivalen in der AEG. Doch auch sie hielt nicht. Letztlich war Rathenau ein einsamer Mensch.

Vieles an Rathenau irritiert. Bizarr mutet seine Freundschaft mit dem völkisch-religiösen Publizisten Wilhelm Schwaner an, Gründer der «Germanischen Glaubens-Gemeinschaft» und strammer Antisemit. Im Krieg sprach sich Rathenau für die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland aus. Auch war er ein naiver Bewunderer des verhängnisvollen Feldherrn Ludendorff. Andererseits aber hatte Rathenau auch schon eine Vision eines vereinigten Europas, und er war - trotz seiner kurzen Amtszeit - ein umsichtiger Außenminister. In Volkovs Biografie erscheint Walther Rathenau nicht unbedingt als Sympathieträger, aber doch als eine ungeheuer facettenreiche und eigenwillige Persönlichkeit deutscher Geschichte.

Shulamit Volkov: Walther Rathenau. Ein jüdisches Leben in Deutschland 1867-1922, Verlag C.H. Beck, München, 250 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-406-63926-5

Verlagsseite zu Shulamit Volkov