Bertolt Brecht und Helene Weigel Bertolt Brecht und Helene Weigel: «Ich fürchte Privatkonflikte»
Halle (Saale)/MZ. - Brecht und die Frauen, das kennt man schon. Die Arbeitskontakte, die in Liebesbeziehungen übergingen und im besten Fall Arbeitsverhältnisse blieben. Das ist aufgeschrieben und kann weitergereicht werden an die Abteilungen Film, Roman oder Feuilleton. Die dürfen sich dann abarbeiten an Brecht und: wahlweise Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin, Ruth Berlau, Isot Kilian oder an der kürzlich gestorbenen Käthe Reichel, um einige der Geliebten zu nennen. Aber wie steht es um Brecht und die eine Frau? Die, mit der dieser deutsche Jahrhundertschriftsteller 33 Jahre zusammen gelebt hat, davon 26 verheiratet? Wie steht es um Brecht und die Schauspielerin Helene Weigel?
Man wusste davon bislang wenig. Die Weigel, die von 1949 bis 1971 als Intendantin das Berliner Ensemble leitete, zog kaum das lebensweltliche Interesse der Brechtianer auf sich. Das hatte Gründe. Nach außen hin erschien die 1900 in Wien geborene und 1971 in Ostberlin gestorbene Künstlerin als Museumsverwalterin des Brechtruhms. Alles Skandalträchtige ging der Mutter der Brecht-Kinder Stefan (1924-2009) und Barbara, geboren 1930, ab, die ihrer Tochter erklärte: "Dein Vater war ein sehr treuer Mann, leider zu zu vielen".
Die Liebesbriefe zwischen Brecht und der Weigel, die es gegeben hat, sind verloren gegangen: angeblich 1939 im schwedischen Exil. Ohnehin war die Weigel keine schwadronierende Sentimentale. Was heißt: Wo viele Worte nicht notwendig waren, wurden die auch nicht gemacht. Eine zusammenhängende Edition der Briefe Brechts an die Frau seines Lebens hat es nicht gegegeben.
Bis Montag. Denn nun liegen erstmals sämtliche zugängliche Briefe vor, die zwischen 1923 und 1956 zwischen dem Sohn eines Augsburger Papierfabrik-Direktors und der Tochter eines Wiener Textilfabrik-Direktors hin- und hergegangen sind. 250 Schreiben insgesamt, mehr als drei Viertel von der Hand Brechts, herausgegeben und kommentiert von Erdmut Wizisla, dem Leiter des Brecht-Archives der Akademie der Künste Berlin. Bei aller editorischen Genauigkeit im - glücklicherweise Seite für Seite und nicht erst am Buch-Ende platzierten! - Anmerkungsapparat, lassen sich die 402 Seiten lesen wie ein Lebensroman. Weil Wizisla jeder kleinen inhaltlichen Briefabteilung eine kurze Einführung voranstellt, die über alle Ereignisse und Akteure informiert. Das ist notwendig, denn in den drei, vier sehr privaten Briefen der Weigel an Brecht - und umgekehrt - würde der Leser im Dunkeln tappen, wenn er nicht über die zwischenmenschlichen Dramen kurz informiert würde, die keine Briefüberlieferung besitzen.
Sie und er: In den Briefen nennt sie ihn "Bert", er sie "Helli", "Heli", in den frühen Jahren auch "Helle" oder "Helletier" und unterzeichnet mit einem kleinen "b", mit "bert" oder "bidi", seinem Rufnamen in der Familie. Im Sommer 1923 lernen sich der 25-jährige rasant aufsteigende Dramatiker und die 23-jährige Wiener Schauspielerin in Berlin kennen. Brecht ist zu diesem Zeitpunkt mit Marianne Zoff verheiratet, mit der er die gemeinsame Tochter Hanne (Hanne Hiob, 1923-2009) hat. Alles geht schnell: Bereits 1924 ist die Weigel schwanger. Brecht lebt, liebt und tröstet auf zwei Seiten des Begehrens.
Brecht, der Überflieger: "Bin verzehrt von Arbeit Komplotten, Dummheit, Kämpfen". Trotzdem findet er immer wieder Zeit für kleine aufhellende Notate. An die schwangere Helene Weigel und das erwartete Kind: "Wird er auch groß und dick und lustig / Und ist seine Mutter eine Augenweide / Und singt I have no bananas / Und hält seines Vaters Bett bereitet / Wie es geschrieben steht"? 1925 an "Helli": "Was tust Du immer Wo wohnst Du Wo ißt Du Wie arbeitest Du???"
Die Arbeit: Das ist das Band, das in dieser Beziehung immer hält, wenn die Nerven einmal reißen. Das geschieht in den Briefen erstmals im Januar 1933; zwei Jahre zuvor hatte Brecht die Tbc-erkrankte Amateurschauspielerin Margarete Steffin zu lieben begonnen. Brecht an die Weigel: "Für gewöhnlich ist es bei uns so: aus kleinen psychischen Verstimmungen, die viele Ursachen haben können (...) entsteht dann eine große undurchdringliche Verstimmung". Das gefällt dem Dichter nicht: "Ich (...) fürchte Privatkonflikte, Szenen usw., die mich erschöpfen. Nicht aber lebe ich ausschweifend." In Krisenfällen schreibt das miteinander lebende Paar einander Zettel, statt miteinander zu reden, "weil das leichter ist", notiert Brecht, "gegen das Sprechen habe ich eine solche Abneigung, das ist immer ein Kämpfen". Diese eskalieren im amerikanischen Exil um die von Brecht schwangere Geliebte Ruth Berlau. Der Dichter verschwindet auf drei Wochen spurlos. Die Weigel: "Das ist schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit". Aber immer geht es weiter. Bert umwirbt und tröstet, Heli sorgt und hilft.
Die Zeitgeschichte ist nur an den Rändern vernehmbar. Kein Paukenschlag für Hitler, aber plötzlich ereignet sich die Flucht. Interessant sind die Notizen aus dem Exil. Sanary-sur-Mer 1933: "Die Emigration hier ist nicht besonders angenehm zu sehen. In Paris entsetzt mich Döblin, indem er einen Judenstaat proklamierte". Moskau 1935 über den Schriftsteller-Kollegen Ernst Ottwalt, Autor des Halle-Romans "Ruhe und Ordnung" (1929): "Ottwalt ist wieder Dampf in allen Gassen, verdient viel und hat nichts." Kein Paukenschlag markiert das Kriegsende, aber die Heimkehr nach Berlin 1948.
Eine Rückkehr im Zeichen der Arbeit. Für den Autor auch mit Blick auf die Hausarbeit. Bereits in New York 1946 schrieb Brecht: "Liebe Helli, ich lerne: Gläser + Tassen spülen, Boden fegen, Abfall wegschaffen, Rühreier und Suppen machen". Fertigkeiten, die er brauchen wird in Ostberlin, wo seine Frau als Intendantin eine Aufgabe und er neue Verehrerinnen findet. Brechts Umzug in die Chausseestraße ist Resultat einer Trennung, zu der es letztgültig nie kommt.
Doch weg vom Pärchen-Fokus: Die Briefe bieten keine Seifenoper, sondern Kultur- und Zeitgeschichte im Stenogramm, die Mitschrift einer großen Künstlerpartnerschaft. Eine, die sich auf Brechts Seite im Arbeitsleben vor nichts so sehr fürchtete wie vor "Langeweile", so oft taucht hier das Stichwort auf.
Aber Brecht und die Weigel, das war von Anfang an immer auch mehr als nur das Erfinden einer neuen Art von Theater. Man liest das manchmal in, sehr oft zwischen den Zeilen. Das, was Helene Weigel Jahre nach Brechts Tod 1956 dem Brecht-Biografen Werner Hecht sagte: "Das war zwischen uns eine große Liebesbeziehung".