Berliner Schaubühne am Lehniner Platz Berliner Schaubühne am Lehniner Platz: Rainald Grebe inszeniert "Westberlin"

berlin - Was Rainald Grebe von Sachsen-Anhalt („Über die Rübenfelder flüchtet ein Reh“), Thüringen oder Brandenburg hält, ist Gemeingut - ganz im doppelten Sinne des Wortes: Gemein und gut. Nun hat sich der Regisseur, Schauspieler und Sänger, der aus dem Westen in den Osten kam, als der Osten zum Westen gekommen war, an „Westberlin“ versucht.
So heißt die Produktion, die an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz läuft, der wiederum am Kurfürstendamm liegt, mitten im alten Westberlin, wo die Legenden noch immer wuchern. Westberlin, die alte Frontstadt, die eigentlich eine Insel war - und nicht nur der Seligen. Westberlin, wohin die Aussteiger aus der Bundesrepublik gingen und es ertrugen, vom Osten eingemauert zu sein. Westberlin, wohin viele derer gingen, die es im Osten nicht mehr aushielten, aber doch die gefühlte Nähe dorthin - und das Besondere brauchten, das Berlin (und nur Berlin) hat.
Aus Liebe inszeniert
Eine solche Revue, wie Grebe sie nun mit Profi- und Laiendarstellern zeigt, kann man nur aus Liebe inszenieren. Der Regisseur, der selber nicht nur einen Koffer, sondern auch seinen Küchentisch in Berlin hat, erfüllt diese Bedingung ohne Zweifel - so, wie es Volker Ludwig mit dem unsterblichen Musical „Linie 1“ am Grips-Theater getan hat. Grebe nimmt wenigstens einmal deutlich Bezug darauf, wenn er das Publikum gewissermaßen die Parade der Stadt abnehmen lässt, während seine Protagonisten in immer neuen Verkleidungen und Posen über die Bühne gehen.
Der 44-jährige Grebe lässt seine Westberliner Szenen in einer Kneipe spielen, wo auch sonst. Aber die Gaststube weitet sich unversehens auch zur Bühne auf der Bühne: Da wird plötzlich eine Gangway hereingeschoben, von der Filmstars herabsteigen. Natürlich, Berlin, das ist ja auch die Berlinale!
Mit leichter Hand durch Berliner Geschichte
Am Anfang aber steht die Currywurst, deretwegen allein, so scheint es wenigstens, sich Abertausende von Touristen auf den Weg nach Berlin machen. Der Currywurst-Monolog eines Gastes an der Kneipentheke ist einfach grandios. Nicht weniger der Kurzauftritt, in dem Marie Burchard die berühmte Szene Lilo Pulvers in Billy Wilders bitterer, brüllend komischer Berlin-Groteske „Eins, Zwei, Drei“ nachspielt: Die Sekretärin Ingeborg tanzt vor den Augen verzückter Russen in Karlshorst auf dem Tisch. Mit leichter Hand geht Grebe durch die Berliner Geschichte und schafft es doch, keine nostalgische Postkarten-Revue daraus zu machen. Dafür liegen Tragisches und Heiteres hier viel zu dicht beieinander. Und auch das, was längst als Legende festgehalten ist in der kollektiven Erinnerung, wird noch einmal geprüft, in großem Ernst und mit eindrucksvollen theatralischen Mitteln.
Eine Szene ist es, die besonders dafür steht: Tilla Kratochwil, die eine Kellnerin spielt, aber auch den berühmten, für alle Geschichtsbücher festgehaltenen Sprung des DDR-Grenzers über die frischen Sperranlagen zeigt, führt die Jagd auf die Studenten beim Berliner Schah-Besuch 1967 und die Ermordung Benno Ohnesorgs vor Augen.
Mit Ketchup übergossen
Wie man das macht? Ein paar Tische werden in Reihe aufgestellt, die symbolisieren die Straße vor dem Opernhaus. Der Schah von Persien und seine Frau fahren vor, ein Sektkübel wird zur silbernen Staatslimousine. Salzstangen werden auf dem Tisch mit gewöhnlichem Besteck zerhackt - das sind die Demonstranten, die von Sicherheitsbeamten zusammengeschlagen werden. Und eine leere Flasche wird zum wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg, den ein Polizist gezielt erschießt. Tilla Kratochwil übergießt den liegenden Korpus mit Tomatenketchup. Da ist es totenstill im Saal.
Natürlich sieht man hier, dass Rainald Grebe gelernter Puppenspieler ist. In diesem Metier ist die Fantasie des Theaters noch besonders ausgeprägt, man kommt mit wenigen, oft überraschenden Mitteln auf den Punkt. So auch, wenn es gelingt, dem großen politischen Kabarettisten Wolfgang Neuss ein Denkmal zu setzen, das ihm selber gefallen hätte.
Grebe spielt den Part, plötzlich dreht sich eine Seitenbühne in den Blick, da sitzt der 1989 bettelarm in Berlin gestorbene Erzspötter Neuss wie ein fröhlicher Untoter auf seinem vermüllten Matratzenlager und sein mildes, zahnloses Lächeln unter dem schütteren Langhaar wirkt so, als wollte er den Lebenden Trost spenden.
Rainald Grebe als Rolf Eden
Natürlich fehlt es auch an Glamour nicht, Grebe tritt als der inzwischen 85-jährige Lebemann Rolf Eden auf und dreht ein paar Schmuse-Runden auf dem Tanzparkett. Lachen und Weinen - das gibt es alles gratis an diesem Abend. Und im Programmheft sogar den vollständigen Text der berühmten Westberliner Rede des US-Präsidenten Ronald Reagan aus dem Jahr 1987: „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.“
Nächste Vorstellungen: Freitag, Samstag und am Sonntag, jeweils 20 Uhr, Berlin, Schaubühne am Lehniner Platz. (mz)
