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Berlinale Berlinale: Die Stunde der Verführer

11.02.2010, 18:11
Anke Engelke mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick bei der Filmpremiere von «Tuan Yuan». (FOTO: DPA)
Anke Engelke mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick bei der Filmpremiere von «Tuan Yuan». (FOTO: DPA) dpa

BERLIN/MZ. - Wann haben Sie selbst "Jud Süß" zum ersten Mal gesehen?

Roehler: Erst als ich mit dem Projekt konfrontiert war. In den 80er Jahren hat man sich im Westberliner "Ex'n'Pop" solche Sachen wie "Der ewige Jude" angeguckt. Da lief dieses ganze abgefahrene, böse, verruchte Nazi-Underground-Kino. Die NS-Zeit hat mich immer schon interessiert. Die Speer-Tagebücher las ich schon mit 15.

Wenn Sie sich an die Wirkung von "Jud Süß" erinnern.

Roehler: Der Film kam mir beim ersten Ansehen unglaublich leichtfüßig, elegant, schnell geschnitten, eindringlich und gut gespielt vor. Man sieht ihn und hat den Eindruck, dass das eigentlich einer der wenigen wirklich guten deutschen Filme ist - vom rassistischen Hintergrund natürlich abgesehen. Den würde ich in die Top-Ten-Liste der deutschen Filme aufnehmen - rein stilistisch, rein dramaturgisch, rein in der Hinsicht, wie subtil er die Message rüberbringt.

Ihr eigener neuer Film erzählt nun die Geschichte des "Jud Süß"-Hauptdarstellers Ferdinand Marian. Was steht für Sie im Zentrum?

Roehler: Es geht um Verführbarkeit und um Repression. Wie in "Mephisto". Es geht um einen Schauspieler, dem die Hauptrolle in "Jud Süß" angetragen wird, ein Mann, der überhaupt nicht überschauen kann, was der NS-Staat damit vorhatte. Der Film war eines der geistigen Vehikel zur Vorbereitung des Holocaust. Und das ist vielen Leuten sehr früh klar gewesen. Aber diesem nicht gerade intelligenten Ferdinand Marian nicht.

Dann geht es um den Film selbst. Der Marian hat ja eine Art "Tour" gemacht: Durch Galizien und andere besetzte Gebiete, wo der Film vor besoffenen Soldaten vorgeführt wurde, die Hasssprüche brüllten. Dadurch wurde er selbst zum Alkoholiker - das hätte keiner von uns ausgehalten: Er saß da drin mit diesem groben Proletenpack, die schon längst von den Mord-Gedanken infiziert waren, nur noch darauf warteten, loszuschlagen.

Was war Marian für ein Typ?

Roehler: Als Schauspieler brachte er alles mit: Er hatte diesen typischen Wiener Schmäh, er war der Verführer par excellence mit dunklen Abgründen - ein Typ, wie er damals sexy war. Heute darf ja keiner mehr Abgründe haben: Til Schweiger, Matthias Schweighöfer und so weiter - Männer ohne Schatten. Aber in den 40ern war es noch chic, so eine dunkle Aura zu verströmen.

Was sehr überrascht: Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels zu besetzen. Bleibtreu kennen wir nur als Komödiendarsteller.

Roehler: Gerade deshalb! Der Film ist eine Tragödie. Aber man braucht da immer ein konträres Element: Dass Goebbels eine unglaublich intelligente und geschliffene Person war - in seinen Reden, in seinen gesellschaftlichen Auftritten, dass er messerscharf Anekdoten servieren konnte, mit absolut sardonischem Charme - da brauchte ich so einen Schauspieler wie Moritz Bleibtreu. Gerade um das Mephistophelische herauszuarbeiten. Denn das genau war der Goebbels ja: ein Verführer.

Die dritte Hauptfigur ist Veit Harlan. Was war das für eine Figur? Als Filmemacher, als Mensch?

Roehler: Von seinem ganzen Gestus her, seinem kulturellen Hintergrund und seinen Ideen, hing Harlan einem irrationalen Romantizismus an, der sehr viel mit all dem zu tun hat, was einen großen Teil der konservativen deutschen Tradition des 19. Jahrhunderts ausgemacht hat. Wenn man tiefer darüber nachdenkt, ist eigentlich alles, was Harlan gemacht hat, genau auf die Nazi-Ideologie hin ausgerichtet gewesen. Ich glaube, dass er von seiner geistigen Anlage her mit Sicherheit ein Reaktionär war. Er war ein Spätromantiker.

Gibt es etwas, was Sie schätzen an Harlan? Wo sie eine Nähe empfinden? Ihn verstehen können?

Roehler: Naja, das Problem ist, wie man damit umgeht, dass er auch ein guter Filmemacher war. Wenn man sich Filme wie "Kolberg" anschaut, oder "Der große König", die so bekanntermaßen auch als Durchhaltefilme konzipiert waren und das sicher auch sind: Die sind auf gewisse Weise so gut gemacht - da muss man wirklich den Hut ziehen. Dass das System die benutzt hat, und dass die Filme von vornherein darauf angelegt waren, benutzt zu werden, und dass er das gewusst hat, ist wieder eine andere Sache. Das ist auch klar. Aber hätte er es nicht gemacht, das muss ich auch sagen, hätte es jemand gemacht, der es nicht so gut gekonnt hätte.