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Berlin Berlin: Lebenslange Lust an der Entdeckung

Von ANDREAS HILLGER 05.08.2009, 17:07

BERLIN/MZ. - Über mangelnde Zuwendung privater Kunstsammler konnte sich Berlin in der jüngsten Vergangenheit wahrlich nicht beklagen: Die Schätze von Heinz Berggruen in Charlottenburg, die Kollektionen von Erich Marx und Friedrich Christian Flick im Hamburger Bahnhof ... Die Museumslandschaft der Hauptstadt wäre ärmer ohne die generösen Gesten, mit denen sich die betuchten Afficionados von ihren Prunkstücken trennen. Dass sie aber auch noch wesentlich reicher sein könnte, zeigt nun die Ausstellung der "Bilderträume" von Ulla und Heiner Pietzsch in der Neuen Nationalgalerie am Potsdamer Platz. Denn dieses Sammlerpaar hütet mitten in Berlin eine der weltweit kostbarsten Surrealisten-Sammlungen, die nun erstmals an ihrem Heimatort zu sehen ist.

Das Ehepaar, das sein Geld mit einem Kunststoffhandel verdient hat und vor mehr als vier Jahrzehnten von der Leidenschaft für die Kunst erfasst wurde, darf als Modellfall für die Sammlerszene gelten: Aus der puren Lust, die dem persönlichen Geschmack folgt, ist mit den Jahren eine Kennerschaft erwachsen, die Lücken in der Kollektion aufspürt, um sie zu schließen - aber zugleich stets neugierig auf Entdeckungen bleibt.

Max Ernst im Zentrum

Im Zentrum der Schau, die rund 180 Werke aus dem Besitz der Pietzschs mit wenigen Beständen der Neuen Nationalgalerie konfrontiert, steht das Werk von Max Ernst, der sein Vokabular mit Techniken wie der Frottage und der Collage immer wieder erweitert und mit seiner eigenwilligen Naturkunde einen genuinen Kosmos geschaffen hat. Wenn man nun zentralen Werke wie dem dämonischen "Kopf des ,Hausengels'" oder dem in eine Barock-Hängung zergliederten "Gemälde für junge Leute", der rätselhaften Bibel-Allegorie "Lots Töchter" und vor allem den Fragmenten der legendären "Steinbock"-Skulptur begegnet, von der die öffentliche Sammlung lediglich eine Nachschöpfung besitzt, dann verdankt sich dieser Reichtum einer frühen Begegnung zwischen Künstler und Sammlern - und der Tatsache, dass die Werke von Max Ernst zu jener Zeit noch relativ erschwinglich waren.

Ausgehend von diesem Mittelpunkt durchstreift man die Internationale des Surrealismus, ohne einen Einzigen ihrer Protagonisten zu vermissen. Da trifft man die steinernen Vögel und irritierenden Skulpturen des René Magritte, die urbanen Akte des Paul Delvaux und die mit Geheimnis aufgeladenen Stillleben des Pierre Roy. Salvador Dalís trickreiche Kompositionen aus den berühmten Versatzstücken stehen neben Hans Bellmers monströsen Puppen-Phantasien, Marcel Duchamps Editionswerke neben Yves Tanguys konstruktivistischem Strandgut.

Ein besonders schönes Kapitel dieses Parcours, den der Liebhaber solcher Rätselkunst mit glücklichem Lächeln und erkennendem Nicken durchstreift, bilden die Solitäre von Leonor Fini und Dorothea Tanning, Meret Oppenheim und Leonora Carrington - Musterexemplare für die weibliche Seite des Surrealismus, die zudem den Weg zu Künstlerinnen wie Tamara de Lempicka oder Frida Kahlo weisen.

Mehr als nur ein Stil

Denn die Lust - und offenbar auch die Leidenschaft - von Ulla und Heiner Pietzsch ist mit dem einen Stil eben nicht zu stillen. Das nur an sich selbst zu messende Chamäleon Pablo Picasso, Joan Mirós amorphes Ordnungsprinzip, die Farb- und Flächenbalancen des Alexander Calder oder die apokalyptischen Landschaften des Richard Oelze - in den Berliner "Bilderträumen" herrscht ein Pluralismus, der die Poesie wie die Destruktion zulässt. Dass es den Sammlern immer auch um die Person hinter dem Werk geht, zeigt zudem eine erlesene Galerie, in der man vielen der Künstler auf erstrangigen Fotos wieder begegnet - ein Memory-Spiel am Ein- und Ausgang, bei dem die Pose des Porträtierten nicht selten die Zuordnung zu seinen Bildern erleichtert.

Ein weiterer Schwerpunkt, den die Sammlung ihrer Präsentation diktiert, ist der Abstrakte Expressionismus - wobei sich diese Schule gerade durch ihre Vielstimmigkeit als Pendant zu den Surrealisten empfiehlt. Hier sind William Baziotes und Hans Hofmann, Mark Rothko und Barnett Newman mit Werkgruppen vertreten, die das Gespür der Sammler für die Charakteristika ihrer Favoriten zeigen.

Eine besondere Pointe aber findet sich im Finale: Dort begegnet man dem ältesten und dem - bis zur Eröffnung der Schau - jüngsten Exponat im Hause Pietzsch. Es handelt sich um Gerhard Altenbourgs leises Aquarell "Die Schaukel" und um Neo Rauchs gewohnt lautsprecherisches Ölgemälde "Fluchtversuch" - zwei ostdeutsche Künstler, die auf Heiner Pietzschs Herkunft aus Dresden verweisen. Dass die Sammlung dorthin gestiftet wird, will Berlin unbedingt vermeiden.

Bis zum 22. November, Di, Mi, So 10-18, Fr, Sa 10-20, Do 10-22 Uhr