Berlin Berlin: Ausstellung präsentiert DDR-Fotografie
berlin/MZ. - In der Schlange stehen, das erinnert der gelernte Ostler noch. Um Mangelware ging es oft, manchmal auch um Kunstgenuss. Aber dass jemand wegen der DDR ansteht, wer hätte das gedacht? Zumal in Berlin-Kreuzberg, im Westen der Hauptstadt. Aber tatsächlich ist das Phänomen dieser Tage zu beobachten, "Geschlossene Gesellschaft" heißt eine umfangreiche, außerordentlich gelungene Ausstellung in der Berlinischen Galerie, gezeigt wird künstlerische Fotografie aus den vier Jahrzehnten der ostdeutschen Republik.
Die Schau, zusammengestellt von Ulrich Domröse unter Mitwirkung auch des halleschen Kurators und Fotografie-Papstes T. O. Immisch, leistet dabei zweierlei: Zwar legt sie das Schwergewicht auf die stilistische und formale Entwicklung der Fotografie in jenem anderen Land, das immer so eigen und besonders sein wollte und seitens der Offiziellen peinlich bemüht war, nicht in den Sog westlicher Strömungen zu geraten.
Aber die Bilder, die natürlich in Auseinandersetzung mit Tradition, Avantgarde und Zeitgeschichte (einschließlich der ideologischen und machtpolitischen Konstrukte in der DDR) entstanden sind und nicht gelöst aus den künstlerischen Kontexten, transportieren zugleich faszinierende Ansichten von der Lebenswirklichkeit in jenem anderen Land, das vor 22 Jahren zu existieren aufhörte.
Es sind drei große Gruppen von Künstlern, deren ästhetische Positionen vor dem Hintergrund ihrer Schaffenszeit präsentiert werden. Der erste Abschnitt der Schau widmet sich der sozial engagierten Fotografie und zeigt unter anderen Arbeiten von Richard Peter sen. (1895-1977) und Karl Heinz Mai (1920-1964), deren Aufnahmen aus dem kriegszerstörten Dresden und aus der Leipziger Nachkriegszeit für den dokumentarischen Anspruch der Fotografie stehen: Wirklichkeit abbilden und bewahren.
In der zweiten Werkgruppe geht es um die Versuche, in den 1950er Jahren an die Bildsprache der Moderne anzuknüpfen, was aus Gründen politischer Repression erst in den 70ern wieder aufgenommen wurde - "dann allerdings ohne den Glauben an die gesellschaftsverändernde Kraft, die die Künstler der Moderne bewegt hatte", wie Ulrich Domröse im Katalogbuch zur Ausstellung schreibt.
Die dritte Gruppe der vorgestellten Künstler schließlich wird von den Jüngeren besetzt, die in diesen neu oder wieder gewonnen Möglichkeiten Anlässe zu weiterer Erkundung ableiteten und in spielerischer Grenzüberschreitung zur Installation und Performance fanden. Bei ihnen ist die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse durch ihre Kunst oft einem sarkastischen, desillusionierten Blick und selbstbewusster Selbstbeschäftigung gewichen.
Für diese Position stehen zum Beispiel die farbigen, ebenso verspielt wie irritierend wirkenden Fotografien von Florian Merkel, der 1961 in Karl-Marx-Stadt geboren wurde. Seine Mitte der 80er Jahre entstandenen, inszenierten Porträts sind fern der inszenierten Wirklichkeit in der untergehenden DDR. Von ähnlicher Haltung, aber mit enormen dokumentarischer Wucht arbeitet der 1958 in Radebeul geborene und in Leipzig lebende Matthias Hoch, der Ende der Achtziger die Städte des Ostens schonungslos zeigte, darunter ein lakonisch "Halle /Saale II" genanntes Bild, das wohl einen Blick in die Mitropa-Gaststätte des Hauptbahnhofes gewährt. Genauer und trostloser und wahrhaftiger lässt sich das nicht denken.
Der Gang durch die Schau wird garantiert kein Nostalgie-Trip, aber eine erhellende, auch befreiende Begegnung mit einem Land, dessen Bürger gewesen zu sein weder zu besonderem Stolz noch zu Scham Anlass bietet. Zum Nachdenken allemal.
Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, 10969 Berlin, Mi-Mo 10-18 Uhr, Di geschl., Eintritt 8, erm. 5 Euro