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Belletristik Belletristik: Geschieden mit zehn Jahren

26.01.2009, 07:30
Nojoud Ali ist zehn Jahre alt - und geschieden. (FOTO: DPA)
Nojoud Ali ist zehn Jahre alt - und geschieden. (FOTO: DPA) EPA

München/dpa. - Zwei Monate ging dasMädchen durch die Hölle, wurde von ihrem Mann beschimpft, geschlagenund vergewaltigt. Dann wagte sie die Flucht, zog vor Gericht underkämpfte ihre Scheidung. Ihr Mut hat im Jemen eine landesweiteDiskussion über Hochzeiten im Kindesalter entfacht und das Mädchenzur Hoffnungsträgerin werden lassen, für andere mit dem gleichenSchicksal. Ihr Buch «Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden», schriebsie mit Hilfe der französischen Journalistin Délphine Minoui.

Nojouds Erinnerungen beginnen in einem Gerichtsgebäude derjemenitischen Hauptstadt Saana. Das Mädchen, das sich bisher «immerden Befehlen der Männer aus der Familie gebeugt» und «zu allem jagesagt» hat, hat an diesem Tag beschlossen, «nein zu sagen». «Ichhabe keine andere Wahl mehr. Es ist meine letzte Chance, aus alledemherauszukommen. Ich werde nicht einfach aufgeben», beschreibt sieihre ungewöhnliche Entscheidung, die in dem islamischen Land imSüdwesten der arabischen Halbinsel als Tabubruch gilt.

Nojouds mutigen Schritt vorausgegangen waren wochenlange Qualen imHause ihres Ehemannes. Schon in der ersten Nacht vergewaltigt er dasKind, das bis dahin keine Ahnung hat, was eine Hochzeit eigentlichbedeutet. «Für mich war es vor allem ein Fest mit einer MengeGeschenke, Schokolade und natürlich Schmuck.» Angesichts der Armutihrer Familie - der Vater arbeitslos, die Brüder und Schwesternbettelten - sah Nojoud die Ehe zunächst sogar als «Notausgang».

Doch dann erlebt das kleine Mädchen alles Schreckliche, das dasLeben in ihrer Heimat für viele Mädchen und Frauen bereit hält. Trotzdes Flehens, sie in Ruhe zu lassen, vergewaltigte der Mann Nojoudfortan jede Nacht. Ab dem dritten Tag beginnt er, sie zu schlagen.Tagsüber muss sie im Haushalt helfen, Gemüse schneiden, die Hühnerfüttern, Geschirr spülen. «Wenn ich eine Pause machte, zog mir meineSchwiegermutter an den Haaren.»

Das ungewöhnliche an Nojouds Fall: Sie ergibt sich ihrem Schicksalnicht. Trotz des Drucks ihres Vaters, der ihr befiehlt, zur Wahrungder Familienehre bei ihrem Mann zu bleiben, flieht sie und findeteinen Richter, der sich ihrer annimmt - obwohl Minderjährige im Jemennicht berechtigt sind, Strafanzeige zu stellen. Um das Kind vor Racheund Ehrenmord zu schützen, lässt er den Vater und den Ehemann Nojoudssogar vorübergehend festnehmen. Eine Anwältin übernimmt mit Hilfe vonBürgerrechtsbewegungen Fall und Kosten.

Die Ehe wird geschieden, Nojouds Vater und der Ehemann, der fürdie Scheidung Schadensersatz erhält, frei gesprochen. Nachjemenitischen Recht haben sie nichts Unrechtes getan. Im Jemen sindZwangshochzeiten von Kindern und Jugendlichen Alltag. Mehr als jedezweite Minderjährige wird zwangsverheiratet, ergab eine Studie derUniversität Sanaa. Zwar ist eine Ehe laut Gesetz offiziell ersterlaubt, wenn die Braut 15 Jahre alt ist. Doch wenn der Vatereinwilligt, ist sie auch früher möglich. Die traditionelle Regel,dass der Mann mit dem Vollzug der Ehe bis zum Ende der Pubertätwarten muss, wird nach Expertenangaben immer wieder gebrochen.

Nojoud wohnt jetzt auf eigenen Wunsch wieder bei ihren Eltern undmacht das, was eigentlich alle Kinder in ihrem Alter tun sollten: Siegeht zur Schule. Ihre Geschichte hat im Jemen bisher verschlosseneTüren geöffnet. Kurz nachdem ihr Fall publik geworden war, folgtenzwei jemenitische Mädchen im Alter von neun und zwölf Jahren NoujoudsBeispiel. In Saudi-Arabien reichte ein achtjähriges Mädchen dieScheidung ein, nachdem ihr Vater sie ohne ihr Wissen mit einemfünfzigjährigen Mann verheiratet hatte. Vielleicht trägt das Buchdazu bei, dass ihnen noch viele Mädchen folgen werden.

Nojoud Ali: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden.Knaur Verlag, München,200 S., 14,95 EuroISBN 978-3-426-65470-5