Barockkomponist Barockkomponist: Festspiele starten mit Oper von Händel-Konkurrenten
Karlsruhe/dpa. - Gewitterszenen, Regenschauer, Candlelight- Dinner, Tischtanz und ein großes Wettangeln: Die Eröffnungspremiere der 27. Karlsruher Händel-Festspiele am Samstagabend überschüttete die Zuschauer mit einer Fülle bunter, attraktiver Bilder, wie sie sonst noch nicht mal ein kommerzielles Musical bietet. Der Aufwand diente ausgerechnet einem Konkurrenten des Festival-Patrons Händel: Mit Reinhard Keisers Oper «Die römische Unruhe oder die edelmütige Octavia» ist den Karlsruhern wieder einmal eine echte Entdeckung
gelungen. Das Publikum reagierte begeistert.
Reinhard Keiser (1674-1739) gehört zu den großen Unbekannten der europäischen Operngeschichte. Als Direktor der Hamburger Oper schuf er in Konkurrenz zum italienischen und französischen Stil eine eigene, deutsche Variante. Gesungen wurde in Hamburg, vor bürgerlichem Publikum, in deutscher Sprache; sogar auf Plattdeutsch. Unter den mehr als 60 Keiser-Werken findet sich auch eine Störtebeker-Oper. Georg Friedrich Händel (1685-1759) führte Keiser- Partituren im Gepäck und bediente sich ungeniert bei seinem geschätzten Konkurrenten.
Das Textbuch zur «Römischen Unruhe» bringt den römischen Kaiser, Erotiker, Intriganten und Massenmörder Nero auf die Bühne. Er möchte seine Gattin Octavia in den Selbstmord treiben, um sich mit Ormoena, der Frau des armenischen Königs Tiridates, zu amüsieren. Das geht natürlich völlig daneben. Und am Ende schließen sich gleich vier Paare unter dem Segen des weisen Philosophen Seneca in die Arme. Die mehr als vierstündige Originalfassung wurde radikal gekürzt. Am Ende bleiben drei kurzweilige Stunden hochkarätigen Musiktheaters.
Regisseur Ulrich Peters, sein Ausstatter Christian Floeren und Kostümbildner Christoph Cremer zünden ein Feuerwerk visueller Effekte, die Bühne quillt über vor Aktionen. Chor, Solisten und Ballett sind in ständiger Bewegung. Es wird gekämpft und gesoffen, es geht buchstäblich über Tische und Bänke. Und wenn man meint, jetzt wäre es genug, dann gibt es auch noch Pulverdampf und Feuer. Dennoch kommt auch Keisers aufregende Musik zu ihrem Recht.
Aparte Kombinationen wie Blockflöten, schnarrende Orgelregister, schmetternde Oboen, Naturhörner und delikate Streicher-Pizzicati sorgen für ungewöhnliche Klangfarben. Eine Arie der Octavia wird sogar von fünf Fagotten begleitet. Die Deutschen Händelsolisten unter Andreas Spering präsentieren das Werk mit flexiblem Klang, getrübt mit kleinen, wohl premierenbedingten Betriebsunfällen. Aus dem ausgeglichen besetzten Solistenensemble sind vor allem Claudia Barainsky (Octavia) und Stephan Genz (Nero) herauszuheben. Genz begann übrigens als Sängerknabe bei den Leipziger Thomanern - genau wie die Pop-Gruppe «Die Prinzen» und 300 Jahre vorher Reinhard Keiser.