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Barbara Honigmann Barbara Honigmann: Mit Kleist durch die Ostberliner Nacht

Von CHRISTIAN EGER 16.08.2011, 17:51
Die Schriftstellerin und Malerin Barbara Honigmann wurde 1949 in Ostberlin geboren und lebt seit 1984 in Straßburg. (FOTO: DPA)
Die Schriftstellerin und Malerin Barbara Honigmann wurde 1949 in Ostberlin geboren und lebt seit 1984 in Straßburg. (FOTO: DPA) dpa

BERLIN/MZ. - Berlin, Hauptstadt der DDR, Mitte der 70er Jahre: A., der bereits im Westen gefeierte Ost-Theaterregisseur, der ein großes Kleist-Projekt plant, trifft auf eine junge Dramaturgin, die eine große Kleist-Begeisterte ist. Ein von einem gemeinsamen Freund arrangiertes Treffen. Nicht "Fisch sucht Fahrrad", sondern Kleist-Fachmann sucht Kleist-Fachfrau. Diese schreibt im Rückblick: "Ich kam natürlich zu spät, und A. sagte hinterher, gleich als du deinen Kopf durch die Tür gesteckt und so frech gegrinst hast, wußte ich, was geschehen wird."

Stalin war weg

Nämlich das: Er und sie spazieren kurz darauf in die Nacht hinein. Stehen auf jenem leergeräumten Platz in der Karl-Marx-Allee, auf dem einst das überlebensgroße Stalindenkmal stand. Sie lachen, küssen, laufen. Hin zu ihrer Wohnung. Aber, schreibt sie, "die Nacht verbrachte er nicht bei mir, und das tat er auch später nie." Bloß nicht die Frage: Käse oder Marmelade? Das ist Gesetz: "Nur kein Alltag, sondern nur Poesie! Nur Kleist!"

Was soll das werden? Kein Leben. Höchstens ein Buch. "Bilder von A." heißt der kleine Roman, in dem Barbara Honigmann einmal mehr ein Kapitel ihres deutsch-jüdischen Lebens zu Belletristik verarbeitet. Ein Roman im Kammerton, fein abgestimmt in den Sätzen und Sachen. Unverkennbar ist es die Geschichte von Honigmanns Liebe zu dem um 14 Jahre älteren Ostberliner Theater-Starregisseur Adolf Dresen (1935-2001), die hier als Vorlage dient. Der Mann, den Juden nur "A." nennen konnten, weil diesen ein "Adolf" nicht leichthin über die Lippen kommt. Und Barbara Honigmann, die 1984 aus der DDR nach Frankreich "emigrierte", ist als Tochter von SED-treuen Juden aufgewachsen: Ihre Mutter war in erster Ehe mit dem Doppelagenten Kim Philby verheiratet, ihr Vater, der Journalist Georg Honigmann, war zeitweise Chefredakteur der "Berliner Zeitung", später für die Defa tätig.

Aber das muss man nicht wissen, um diesen kleinen Roman mit Gewinn zu lesen. Der Roman einer unmöglichen Liebe, die eine Künstlerliebe ist. Keine andere Bindung will diese zulassen als die an die gemeinsame Arbeit, die gemeinsame Begeisterung. "Unauflöslich und unerlöst in irgendeinem Ich-weiß-nicht", schreibt die Ich-Erzählerin. "Von Anfang an waren wir uns immer gleichzeitig zu nah und zu entfernt". Und: "Sie sprachen ja immer nur über Kleist und lasen sich gegenseitig vor. A. ist jetzt tot."

Mit dem Roman will sich die Ich-Erzählerin die "Ich-weiß-nicht"-Liebe erklären. Und A.: ein "blonder, blauäugiger Gewittergoi". Verheiratet, nie verfügbar, immer beschäftigt, der seine Geliebte an der kurzen Leine hält. Streit kann es nicht geben, weil es keinen Alltag gibt. "Mein Beruf wird ,Liebhaberin' sein. A. hat gelacht, aber er fand das ganz in Ordnung."

Unmögliche Liebe

Barbara Honigmann gelingt es, mit dieser unmöglichen Liebe eine Zeit sichtbar zu machen, die voll war von gesellschaftlichen und geistigen Unmöglichkeiten. So sind die Fragen, die die Erzählerin an sich selbst und den Geliebten stellt, immer auch Fragen an die ostdeutschen Verhältnisse. An die Kunstbesessenheit, die eine eigene Selbstvergessenheit erzeugte. An das Verpuppen in Theaterwirklichkeiten. Oder in literarische Welten. "Kleist sprach von Preußen, aber wir meinten die DDR", sagt die Erzählerin. DDR-Preußen, in dem alles nur "treiben", aber nie "reifen" konnte. Bis auf Illusionen.

Ein Staat, wie für A. geschaffen, dessen Fluchten als umtriebiges Kultur-Engagement erscheinen. Aber nie will A., der Sohn eines Nazis, wissen, woher er kommt - und wohin er geht. Seiner Geliebten will er verbieten, ihre Herkunft zu ergründen, die das Judentum ist. A. will im Ausnahmezustand fortleben, nach innen und außen. Hier kommt es zum Riss, aus dem dieser kluge, unaufdringlich die Ostjahre erhellende Roman entspringt.