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Barbara Felsmann Barbara Felsmann: Fröhlich sein und singen

Von Steffen Könau 05.07.2004, 19:16

Halle/MZ. - Mädchen allerdings hatten ein geheimes Talent dazu, den Pionierknoten zu binden. Wie Mädchen auch stets die ernsthafteren Angehörigen der Pionierorganisation "Ernst Thälmann" waren: Sie klebten die Beitragsmarken ordentlich in ihren Mitgliedsausweis, während die Jungen sie lieber in den Hosentaschen herumtrugen, bis sie nirgendwo mehr kleben blieben. Und manche von ihnen konnten die "Zehn Gebote der Jungpioniere" tatsächlich nicht nur auswendig aufsagen. Nein, ihr ganzes Auftreten kündete vom Vorsatz, ein ödes Gebot wie "Wir Jungpioniere lernen fleißig, sind ordentlich und diszipliniert" an jedem Tag zu leben.

Wie Corinna Sylvester, die als sechstes Kind einer Akademikerfamilie Ende der 60er Jahre Mitglied der Pioniere und bald danach Gruppenratsvorsitzende wurde. Als eine von 17 Zeitzeugen berichtet die heute 45-jährige Berlinerin in Barbara Felsmanns Buch "Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint" über ihre "Kindheit in der DDR" (Untertitel), die natürlich auch eine Kindheit im Schoß der "sozialistischen Massenorganisation der Kinder in der DDR" (Pionier-Statut) war. Die studierte Germanistin Sylvester erzählt, wie sie "Trommel" las und und mit einer Konkurrentin um die Wiederwahl in den Gruppenrat zickte. Wie sie Kampflieder schmetterte und Ferien in der Pionierrepublik "Wilhelm Pieck" machen durfte.

Erinnerungen, die andere Ex-Pioniere teilen. Hans-Jürgen Krause, der Anfang der 50er noch gegen den Widerstand seiner Eltern Mitglied wurde. Waltraut Berger, die genau weiß, wie es war, wegen schlechter Leistungen Gefahr zu laufen, einen der Gruppenleiter-Balken vom Ärmel ihrer Pionierbluse zu verlieren. Oder der Schriftsteller Thomas Brussig, dem die Altstoffsammlungen für die internationale Solidarität im Gedächtnis geblieben sind: "Aus unerfindlichen Gründen habe ich das gern gemacht." Es ist ein Vexierbild aus privaten Erinnerungssplittern, das die Filmemacherin Barbara Felsmann in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat. Obwohl ihr Bundestagspräsident Wolfgang Thierse noch vor Beginn der Recherchen abriet: "Wer soll das Lesen? Pioniere! Kindheit! Für diesen Kinderkram interessiert sich doch niemand!"

Oder gerade. Während andere Bereiche des Lebens in der DDR längst mit erschöpfender Gründlichkeit erforscht wurden, blieben die Pioniere bislang unentdeckt. Je nach Standpunkt durften sie so nach Belieben dämonisiert oder gerühmt werden - faktenfern, aber vor Überzeugung glühend.

Die einen beklagten die Militarisierung der Allerjüngsten, die Fahnenappelle abhielten, zackige Grüße tauschten und noch vor mehrsilbigen Worten das Funktionieren im Kollektiv einübten. Die anderen lobten das behütete Heranwachsen in Ordnung, Sicherheit und mit klaren humanistischen Idealen. So einfach aber ist es nicht, verraten die von Barbara Felsmann protokollierten Aussagen der einstigen Pioniere. Denn die Außenansicht der Pionierorganisation, die nach Meinung ihres Vorsitzenden Winfried Poßner "eine Partei der Kleinen" hatte sein sollen, unterscheidet sich von der aus Erlebnissen gespeisten Innensicht derer, die dabei gewesen sind.

Für Pioniere wie Carmen-Maja Antoni "spielte der ideologische Hintergrund eine völlig untergeordnete Rolle". Die Pioniere, das war eine Art Fortsetzung des Klassenverbandes in Bluse und Halstuch, ein Fröhlichsein und singen, bei dem einzig die Tatsache, dass mancher Mitschüler nicht mitmachen durfte, für Irritationen sorgte.

Doch selbst die, die draußen bleiben mussten, scheinen darunter kaum gelitten zu haben. "Ich wusste, dass ich da nicht mitmachen will", erinnert sich Uwe Kraeusel, als Pfarrerssohn ein kleines bisschen Außenseiter. "Ich war aber nie ausgegrenzt", sagt er, "ich habe das Klassenleben mitgeprägt."

So wenig der Blick der Nicht-Pioniere im Zorn zurück geht, so wenig fröhliche Verklärung findet sich in den Erzählungen der ehemaligen Halstuch-Träger. Pioniersein, das hieß Zeitungsstudium, Maidemo und Appell, das hieß aber auch Spielen, Disko und Bastelnachmittag. Und je weiter die Gewichte von oben in Richtung Ideologisierung verschoben wurden, umso weniger ideologisch geprägt war das Alltagsleben. Gleichgültigkeit löste die Emphase der Anfangsjahre ab. Angehörige der letzten Pionier-Generation wie Karl Maerker, 1990 zwölf Jahre alt, waren für Thälmann-Kult und Halstuch-Verehrung schließlich nicht mehr zu erreichen. "Weil diese Pioniertücher ja aus Synthetik waren", sagt der heute 25-Jährige, "und das war wirklich unangenehm zu tragen."

Barbara Felsmann: "Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint", Lukas Verlag, Berlin, 375 Seiten, 19,80 Euro