Autor Tuvia Tenenbom Autor Tuvia Tenenbom: Katzenbilder aus Jerusalem

halle (saale) - Der kräftige kleine Mann mit der großen, runden Brille ist absolut furchtlos, das wissen sie nicht zuletzt in Magdeburg. Hier hat Tuvia Tenenbom Anfang vergangenen Jahres einen Hitlergruß gezeigt, auf offener Straße, vor Fernsehkameras. Nicht etwa, weil der 56-jährige Wahl-New-Yorker ein Nazi ist. Sondern weil er, der in Israel geborene Sohn eines Rabbiners mit deutsch-polnischen Wurzeln, der den Holocaust überlebt hat, die Teilnehmer an einem genehmigten Nazi-Aufmarsch provozieren wollte. Ein Nazi zeigte ihn bei der Polizei an, die Staatsanwaltschaft ermittelte.
Eine Situation wie gemalt für den studierten Dramaturgen, Informatiker und Mathematiker, der seit 20 Jahren das Jewish Theater in New York leitet. Tenenbom sucht nach solchen Bruchstellen in der Wirklichkeit, nach den scharfen Kanten, an denen allgemeine Wahrnehmung und Realität miteinander kollidieren. Tenenbom geht dorthin, wo es weh tut, er kennt keine Scham und Angst, hart nachzufragen. Er will wissen, was ist, nicht, was sein sollte.
„Allein unter Deutschen“
Mit seinem Buch „Allein unter Deutschen“ zeigte er vor zwei Jahren, wie schmerzhaft so genaues Hinsehen sein kann. Tenenbom begab sich auf eine Reise quer durch Deutschland, die ihn zu Autonomen, Nazis, Israelkritikern, Verschwörungstheoretikern, Friedenskämpfern, Moslems und Fußballfans führte. Und er schrieb auf, was ihm geschah: Wie gern Deutsche im Konsens kuscheln. Wie viel Bier sie trinken. Wie gern sie dafür gelobt werden, dass sie aus ihrer Vergangenheit gelernt haben. Und wie oft ihnen dann doch wieder etwas Antisemitisches herausrutscht, das sie allerdings sofort zu einer zulässigen „Israelkritik“ erklären.
Man wird das ja noch sagen dürfen! Ja, sagt Tuvia Tenenbom, aber man darf auch nachschauen, ob es stimmt. Der Feldforscher Tenenbom ist also genau dorthin gereist, wo all die Dramen, all die Tragödien spielen: Vor 33 Jahren ist er aus Jerusalem fortgegangen, weil er das ultraorthodoxe Umfeld nicht mehr ertrug. Jetzt kehrt er wieder, neugierig darauf, ob der Staat der Juden wirklich das Reich des Bösen ist, von dem ihm deutsche Israelkritiker so viel erzählt haben.
Es ist ein halbjähriger Ausflug über 55 Stationen, den Tenenbom zusammen mit seiner deutschen Frau Isi im Heiligen Land unternimmt. Unterwegs trifft er jüdische Taliban-Ladys, Terroristen, deutsche Minister, Mönche, Rabbis, Beduinen, heimatlose Palästinenser in großen Häusern, jede Menge Entwicklungshelfer aus Europa und den USA. Zwischendrin füttert er ein beständig wachsendes Rudel wilder Katzen durch.
Forschungsreisender
Israel, das wird dem Forschungsreisenden dabei schnell klar, ist so wenig zu verstehen wie Deutschland. Wo die Deutschen ständig die Angst quält, für Nazis gehalten zu werden, verfolge viele Juden eine Furcht vor sich selbst, konstatiert Tenenbom. Zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland, den Golanhöhen und Tel Aviv, den Beduinen-Siedlungen in der Negev-Wüste und der Altstadt von Nazareth trifft er die Akteure dessen, was unter dem Namen Nahost-Konflikt seit Jahrzehnten zur Grundausstattung jeder Nachrichtensendung gehört.
Tuvia Tenenbom geht dabei trickreich vor: Für die einen ist er Tobi der Deutsche, anderen stellt er sich als Abu Ali vor, den Dritten macht er den Juden Tuvia. Und er bleibt dran, so wirr und widerlich seine Gesprächspartner auch scheinen, wenn sie ihren ganz gewöhnlichen Antisemitismus wie damals seine deutschen Reisebegegnungen als gutgemeinte „Israelkritik“ verbrämen.
Dieser Mann kennt keinen Schmerz, er kann noch lächeln, wenn ihn „Lügenhändler“ (Tenenbom) mit Allgemeinplätzen füttern wollen. Er fragt nach, immer wieder nach. Wieso sind immer die Juden an allem schuld? Warum treten sich in den Palästinensergebieten hunderte Hilfsorganisationen auf die Füße, er aber darf die vielen schicken Häuser dort nicht fotografieren?
Selbsthass vieler Juden
Woher kommt der Selbsthass vieler Juden auf ihr Land, wieso fühlt sich die ganze Welt berufen, der einzigen Demokratie im Nahen Osten Nachhilfe in Überleben zu geben? Und weshalb ist eine Rakete aus Israel nach Gaza eine Meldung, eine Rakete aus Gaza nach Israel aber nicht?
Tuvia Tenenbom erzählt das witzig, ein launiger Plauderer mit Sinn für genaue Beobachtung und absurden Humor. Er versucht nicht, zu analysieren, er interpretiert selten, spitzt aber zu, wo es sich anbietet. So entsteht weniger ein journalistischer Draufblick, als eine Innenansicht aus zahllosen Einzelbildern, die nicht zusammenzupassen scheinen.
Das große, starke Israel, das immer in den Nachrichten ist, muss ganz woanders liegen. Tenenbom hingegen war in einem Land unterwegs, in das Europäer und vorneweg Deutsche „enorm viel investieren, um das Leben der Juden zu untergraben“, wie er im Epilog konstatiert. Da, ganz zum Schluss, wird er bitter und sieht „die uralte Geschichte des europäischen Judenhasses bis auf den heutigen Tag fortgesetzt“. Genießt dieses Land, ruft er seinen Katzen am Ende zu, solange es noch existiert. „Ich werde euch furchtbar vermissen.“ (mz)
Tuvia Tenenbom liest in Leipzig aus „Allein unter Juden“ Dienstag, 9.12., 20 Uhr Conne Island, Eintritt frei