Vom Keller ans Licht Ausstellung in Leipzig: Was von der DDR übriglieb

Leipzig - Nancy Häger, Jahrgang 1984, holt die alten Zeitungsartikel, alle sorgsam in Klarsichthüllen sortiert, hervor. Ja, genau dort sind Informationen zu finden, die sie sich nicht alle merken kann.
Und ja, ihre Sammlung von mehr als 30.000 DDR-Gebrauchsgegenständen entspringt hauptsächlich einer Zeit, die nicht die ihre war. Dennoch will sie das Erbe ihres verstorbenen Großvaters Horst Häger, Jahrgang 1937, in würdevoller Weise fortsetzen. „In meiner Kindheit und Jugend habe ich viel Zeit bei meinem Opa verbracht, in seinem Hobbykeller war es gemütlich“, so Häger zurückblickend.
Der Hobbykeller des Opas in einem kleinen Dorf im Land Brandenburg, dort fing alles an. Dort wurden jene Spuren gelegt, die sich heute zur Lohnarbeit der Enkelin ausgewachsen haben. Wie sich die Dinge fügen, Häger lässt den Blick über den einladenden Hof in der Nikolaistraße schweifen: „Mein Opa ist vor seiner Rente arbeitslos geworden. Dann fing er mit Sammeln an. Er hätte auch etwas Anderes machen können, er kannte aber jeden Trödler.“
So füllten sich die Keller, schon bald waren auch die Abstellräume der Nachbarn belegt. Straßenschilder, Parteitagswahlplakate, Schnapsflaschen, volle Zigarettenschachteln, Biergläser, Plattenspieler, Anträge auf Ausreise aus der DDR, Matroschkas, Spielzeug, Handbücher für den Pionierleiter, alte Sputnik-Hefte. Viele nannten es nach der Wende Sperrmüll, Horst Häger erkannte darin Erinnerungsstücke. 1999 gab es die erste öffentliche Ausstellung seiner Sammlung im Land Brandenburg, anfangs waren die Besucherzahlen gering. Erst ab 2009, neue Heimat der Exponate war der Vielfruchthof in Mötzow im Landkreis Potsdam-Mittelmark, stieg der Zuspruch. Nancy Häger erinnert sich: „An Sonntagen kamen gut und gerne 150 Besucher.“ Erste Projekte, da ein Oldtimer-Treffen, dort die Anekdoten der Menschen.
Gibt es Fragen, die sich wiederholen? Gibt es Diskussionen? Welcher Gesprächsbedarf entsteht beim Anblick der Bilder von Walter Ulbricht, Erich Honecker, Willi Stoph und Horst Sindermann? Häger lächelt, die Reaktionen der Besucher haben sich auch am heutigen Standort in Leipzig nicht geändert: „Die Leute genießen es, ihren Enkeln zu zeigen, auf welchem Moped sie damals in den Urlaub gefahren sind. Es kommen viele Geschichten hoch, die dann erzählt werden. Die Exponate leben von den mitgebrachten Erinnerungen.“ Als Häger vor zwei Jahren nach Sachsen zog, war klar, dass sie des Großvaters Erbe nicht im Stich lassen kann. So zog sie mit zwei Lastkraftwagen, die die Strecke Mötzow-Leipzig mehrfach abfuhren, in die 300 Quadratmeter großen Räumlichkeiten der Messestadt. Die Eröffnung der Sammlung fand Mitte Juli statt, heute nennt man sich das „drittgrößte DDR-Museum Deutschlands“. In den Ecken steht „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz. Bücher von Christoph Hein, Anna Seghers, Tolstoi, Hans Fallada, Dieter Nolls „Die Abenteuer von Werner Holt“ und „Weltall Erde Mensch“ ergänzen die Büchersammlung. Häger betont: „Es gab auch schon Kritik, wonach wir die kritische Auseinandersetzung vernachlässigt hätten. Wir sind aber weder ein Geschichtsmuseum noch eine Gedenkstätte. Wir stellen nur Dinge der Alltagskultur aus.“ Dennoch, Überlegungen, ob Erläuterungen angebracht wären, gibt es. Häger, die Geschäftsfrau, dazu: „Aber 98 Prozent der Besucher sagen, dass ich es genau so lassen soll.“ Mehr noch, in den Gästebüchern ist die Rede davon, dass man froh sei, dass es keine erklärenden Tafeln gibt. Auch Lob, dass man auf böswillige Kommentare verzichtet hat, findet sich.
Unterschiedliche Erinnerungsbedürfnisse
Das Nostalgie-Museum ist ein Beweis dafür, dass die Erinnerungsbedürfnisse sehr verschieden sind, ganze Welten können dazwischen liegen. Immer wieder hört man es dann auch aus den Ausstellungsecken murmeln: „Gucke mal, so was hab ich auch noch.“ Ob sich diese Bedürfnisse noch lange halten? „Niemand weiß es“, sagt Häger, „bislang hatten wir in drei Wochen über 600 Besucher. Aber vielleicht mache ich in fünf Jahren auch wieder zu.“
Pläne gibt es trotzdem. Häger hat noch viele offene Fragen. Gestaltungsspielräume: Soll sie die thematische Gliederung (Bücher, Wohnzimmer, Küche, Spielzeug, Kameras, Motorräder) aufgeben und nach historischer Abfolge sortieren? Wird sie mit Reiseführern zusammenarbeiten? Oder gar QR-Codes anbringen, damit man über Kopfhörer Informationen erhält? In dem anliegenden „Café 1:33“, benannt nach dem damals üblichen Mischungsverhältnis von Öl und Benzin für die Kraftfahrzeuge, sollen Lesungen, Stammtische und Zeitzeugengespräche stattfinden. Zudem kann man bald eine Schwalbe oder eine Simson für vergnügliche Fahrten mieten, zuletzt hat Häger für den Film „Russendisko“ Exponate ausgeliehen. Verkaufen will sie nichts, mögliche Ankäufe sind nicht ausgeschlossen. Noch sind nicht alle Umzugskisten ausgepackt und doppelt braucht sie die Dinge nicht. Häger serviert noch einen Kaffee: „Ich will das jetzt erst einmal ein Vierteljahr so laufen lassen und die Reaktionen der Besucher abwarten.“
No stalgie-Museum, Leipzig: Nikolaistraße 28-32, in Steibs Hof, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr (mz)
