Ausstellung in Leipzig Ausstellung in Leipzig: Er ist wieder da

Leipzig - Dieser Napoleon ist ein Sachse. Kein Beute-Sachse, sondern korrekt eingebürgert. 1845 erwarb der Leipziger Seidenwarenhändler Adolph Heinrich Schletter in Paris das schrankgroße Bild, das den besiegten Franzosenkaiser 1814 im Schloss Fontainebleau zeigt. Den Anblick ließ sich Schletter einiges kosten. 12.000 Francs zahlte er dem Maler Paul Delaroche (1797-1856), der zu den teuersten Historienmalern der Zeit gehörte. Das Motiv war begehrt. So sehr, dass Delaroche noch einige Repliken fertigen sollte. Sieben sind bekannt, aber das von Schletter gekaufte Bild ist das erste: Der Leipziger Napoleon ist das Original.
Und viel mehr als das. Der so klein ohne Hut abhängende Korse gehört zu den Paradestücken der Kunstsammlung, die Schletter von 1839 an zusammentrug: Alte Meister und zeitgenössische französische Maler. Die stellte der Kaufmann in seinem Haus in der Leipziger Petersstraße 112 aus. In seinem Todejahr 1853 vermachte er seine Bilder samt Wohnsitz der Stadt, unter der Bedingung, dass diese innerhalb von fünf Jahren einen Museumsbau errichten müsse. So geschah es. 1858 öffnete am Augustusplatz das erste Leipziger Museum der Bildenden Künste. Das 1943 zerstörte Gebäude erhob sich an jener Stelle, an dem heute das Gewandhaus von 1981 steht.
Werke zweier "böser Brüder"
Er ist wieder da. Wenn dieser Tage Napoleon, der 1813 um Leipzig die „Völkerschlacht“ entfesselt hatte, in Leipzig plakatiert ist, werden zwei Tatsachen in Erinnerung gerufen. Dass mit Schletter die Geschichte des Leipziger Kunstmuseums begann und dass Delaroche zu den großen Malern nach 1789 gehört. Aber das stellt man nicht einfach fest, sondern inszeniert es in einer klug und spannend arrangierten Ausstellung unter dem Titel „Geschichte als Sensation.“
Die präsentiert den Maler Delaroche gemeinsam mit seinem künstlerischen und geistigen Gegenspieler Eugène Delacroix (1798-1836). Dem Kollegen im Historienfach Delacroix, dessen 1830 gemaltes Meisterwerk „Die Freiheit führt das Volk“ eine halbnackte „Marianne“ zeigt, die auf eine Barrikade stürmt. Das Bild wird vom Louvre nie ausgeliehen. In diesem Fall ist das kein Mangel, denn das Pariser Staatsmuseum ist mit 28 Leihgaben in Leipzig dabei. Delaroche und Delacroix verhalten sich zueinander wie braver und böser Bruder, wie Buchhalter und Genie. Wird Delaroche für seine glatten, akademisch korrekt gearbeiteten Zeitbilder gepriesen, so gilt der tendenziell expressive, in Stil und Thema eher drastische Delacroix als Schreckensmann der Geschichstbildner-Branche. Das Publikum sah „ein Massaker der Malerei“. Es unkte, alles sei wie „mit einem betrunkenen Besen gemalt!“ Der im Pariser Exil lebende Heinrich Heine hingegen hatte ein Herz für Delacroix. Und Delaroche verspottete er als „Hofmaler aller geköpften Majestäten“.
Kaiser ohne Hut
Es gehört zu den Vorzügen dieser großen, in sich thematisch vielfältigen Schau, dass man Heine nie ganz aus dem Auge verliert, dessen Urteile in aufgeschlagenen Büchern nachzulesen sind. Denn die Leipziger Kunstschau ist auch ein literaturhistorisches Ereignis. Beide Maler kamen einst von der Literatur her, vom Studium der Geschichtswerke genauso wie dem der Belletristik. „Wie sehr möchte ich ein Dichter sein, zumindest mit den Mitteln der Malerei!“ notiert der junge Delacroix. Tatsächlich hat er es geschafft. Bei Shakespeare, Dante, Byron und Scott findet er seine Motive. Und bei Goethe. Den Illustrationen zum „Faust“ ist ein eigener Raum gewidmet. Drastische Blätter, von denen Goethe bemerkte, der Franzose hätte „mich selbst übertroffen, in seinen Szenen“.
So macht die Leipziger Schau auf eine überraschende Weise sinnfällig, wie selbstverständlich um 1830 die poetische in die politische Faszination überging - und umgekehrt. Ein schöner Effekt: Man sieht Bilder, vor denen einst nachweislich Heine stand. Und vor denen der Maler Carl Gustav Carus ins Schwärmen geriet. Der staunte über den Schletterschen Napoleon: dieser „merkwürdige Kopf, die kleine Hand, die einfache bestaubte Kleidung, es ist nicht gemalt, es ist da!“ Und Napoleon nicht einfach ein Kaiser ohne Hut, „sondern es ist das erste mir bekannt gewordene, wahrhaft historische Zeitbild.“
Bis 17. Januar: Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr, Katalog 39 Euro. Am zweiten Mittwoch im Monat freier Eintritt. (mz)