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Ausstellung Ausstellung: Ein multimediales neues Heim für Charlie Chaplin am Genfer See

Von Heinz-Peter Dietrich 08.06.2010, 09:50
Der zweiseitig zugängige Schreibtisch von Charlie Chaplin, an dem er, in der Bibliothek seines Anwesens «Manoir de Ban» am Genfer See, viele seiner Filme entwickelt hat. (FOTO: DPA)
Der zweiseitig zugängige Schreibtisch von Charlie Chaplin, an dem er, in der Bibliothek seines Anwesens «Manoir de Ban» am Genfer See, viele seiner Filme entwickelt hat. (FOTO: DPA) dpa

Corsier-sur-Vevey/dpa. - In Corsier-sur-Vevey in derSchweiz hatte er rund 25 zumeist glückliche Jahre seines Lebensverbracht. Die Villa «Manoir de Ban» aus dem 19. Jahrhundert soll dengroßen Filmzauberer sozusagen wiederbeleben und damit unsterblichmachen - so hoffen es die Investoren und Sponsoren, die immerhin 60Millionen Schweizer Franken (42,5 Millionen Euro) in das Projektstecken. Jetzt traf nach zehn Jahren Planung die Baubewilligung durchdie Gemeinde ein. In zwei Jahren soll das Haus fürs Publikum öffnen.

«Wir alle hier, die gesamte Region will dieses Projekt, es wirdfür die Wirtschaft und den Tourismus sehr wichtig werden», sagtGérald Jaquet, der Sprecher des Bürgermeisters des 3200-SeelenDorfes. Immerhin lebte die Familie Chaplin dort auch noch nach dessenTod, insgesamt fast ein halbes Jahrhundert.

Yves Durand, ein Museumsdesigner aus Quebec, und einer derInitiatoren will mit dem «Chaplin's World, The Modern Times Museum»eine ganze Chaplin-Welt entstehen lassen. Nein, kein Disneyland solles werden. Und schon gar kein Abklatsch des von vielen als etwaskitschig empfundenen Heims Graceland von Elvis Presley in Memphis.Geplant ist eine Erlebniswelt auf 2000 Quadratmetern, die es demBesucher erlauben soll, Chaplin so zu sehen wie er war: Eine derschillerndsten Persönlichkeiten der Moderne, einer der reichsten undbekanntesten Künstler der Welt.

Chaplin sei ein wunderbarer Mensch gewesen, meint Durand immerwieder überschwänglich. Nun gehe es darum, «die Persönlichkeit, seinganzes Wirken, Sprache, Film und Musik unvergänglich zu machen». Eininternationales Projekt für einen internationalen Menschen, der sichzufälligerweise in der Schweiz niederließ, als er nach einemAuslandsaufenthalt 1953 wegen angeblicher kommunistischer Sympathiennicht mehr in die USA zurückkehren durfte.

Heute sieht es noch reichlich trostlos aus im Manoir de Ban. Seitüber zwei Jahren steht das Anwesen leer, von dem Chaplin einstschwärmte, es sei das schönste Haus, das es gebe. Hinter demschmiedeeisernen Tor öffnet sich ein Park mit weitem Blick zum Seeund zu den Alpen. Chaplin und seine vierte Frau Oona O'Neill, mit derer acht Kinder hatte, saßen häufig auf dieser Terrasse und Charlieempfand es als höchstes Glück, dort den Sonnenuntergang genießen zudürfen. Auch wenn man heute wegen des brausenden Verkehrs inzwischengebauter Autobahnen in der Nähe nur noch angestrengt dem Zwitschernder Vögel lauschen kann, so sieht man den zierlichen und baldweißhaarigen Familienvater doch förmlich vor sich, wie er sich denwechselnden Farben in Park und Zeiten hingegeben haben mag.

Der Zahn der Zeit hat gnadenlos herunter genagt, was seit Jahrennicht mehr gepflegt wurde. Betritt man das Erdgeschoss vom Gartenher, so steht dort der braune Steinway-Flügel, an dem Chaplin vieleseiner Filmmusikstücke komponierte und um den sich seine Gäste - dasWho is Who der ganzen Welt - versammelt hatten. Auch sein zweiseitigzugänglicher Schreibtisch, an dem der Künstler in der Bibliothekseine Ideen entwarf, zieht den Blick auf sich und man glaubt seinenGeist zu spüren. Schlafzimmern und Bädern mit dem Charme der 50erJahre wirken heruntergekommenen.

Es ist etwa wie bei einer Hausbesichtigung, wenn die Eigentümerschon lange ausgezogen sind und der Makler das Gebäude nicht loswird. Alles wirkt derzeit verlassen, leicht verkommen und nur schwervorstellbar, welcher Glanz hier geherrscht haben soll. Bis vor runddrei Jahren lebten Teile der Familie Chaplin noch dort. Der Rundgangführt durch die Gesinderäume des «Herrenhauses» (Manoir) in denKeller, wo hinter einer Stahltüre noch alte Filmrollen in Regalenlagern. Chaplin bewahrte sie bei sich gut gesichert auf, da sieentflammbar waren.

Auch die Dimension seines Weinkellers, heute natürlich (fast)leer, lässt ahnen, dass man zu leben verstand. Überall liegen nochZeichnungen der Kinder oder andere Gebrauchsgegenstände herum. Abersie haben laut Durand für das Gesamtprojekt keinen Wert mehr. AmTelefon sind Nummern an die Wand gekritzelt. Der riesige, jetztrostige Herd in der Mitte der Küchenräume, sieht nach starkemGebrauch für Feinschmecker aus.

Die Wiederbelebung von Haus - allein dort sollen 15 MillionenFranken (10,6 Millionen Euro) investiert werden - und Areal mitParkplätzen, Rundgängen, Cafeterien und Restaurants dürfte bald einemgroßen Spektakel gleichen. Mehr als 250 000 Menschen sollen im Jahrdurch Gebäude und Gelände geschleust werden, sind erst einmal dieMillionen ausgegeben. Sonst rechne sich das Projekt nicht, weißDurand. Er verweist auf das Olympia Museum im nahen Lausanne, dasseit Jahren konstant ähnliche Besucherzahlen aufweise.

Unermüdlich öffnet Durand seit Monaten immer wieder Interessentenriesige Türen und Flügelfenster, versteckte Räume und führt sie überStiegen durch verwinkelte Gänge. Er redet schnell, fast wie einVerkäufer, für den es keinen Zweifel gibt, dass sein Produktunschlagbar ist. Bedenken, ob sich spätere Generationen an denStummfilmpionier vielleicht nicht mehr erinnern wollen und deshalbdie Besucher ausbleiben könnten, lässt er nicht aufkommen. «Chaplinwar so einmalig - man wird sich immer an ihn erinnern wollen», istDurand überzeugt.

Der Aufbau dafür ist ein mühsames Geschäft. Denn seit rund zehnJahren wird das Projekt nicht nur geplant, sondern so lange auchdarum gestritten. Einerseits mahlen Schweizer Mühlen - bedingt durchdie direkte Demokratie - langsamer als etwa in den USA oder Kanada,wie Durand müde feststellt. «Wenn ich nicht daran glaubte, wäre ichnicht mehr Teil des Projektes.» Und vieles wurde bereits aus dem Weggeräumt. Andererseits gaben Nachbarn mit Einsprüchen immer noch nichtauf zu verhindern, dass in ihrer Nähe in den kommenden zwei Jahrendauerhafte Festivalatmosphäre herrschen soll und damit ihreGrundstücke entwertet werden.

Für die in aller Welt verstreute Familie Chaplins erfüllt sichdagegen mit dem Umbau wohl aber auch ein Traum und nimmt ihnen eineBürde. Die Belastungen für das bisher ungenutzte Haus und Grundstücksind immens hoch. Die Familie hat keine Angst, dass mit dem Museumder Charakter von Chaplins Werk verfälscht wird. Ihr Elternhaus seietwas vernachlässigt, meinte etwa Sohn Eugene Chaplin untertreibend.Er sei glücklich, «dass ihm wieder Leben eingehaucht wird».

Mit Hauchen ist es aber wohl nicht getan. Die Pläne der Investorenund Sponsoren - darunter der größte Nahrungsmittelkonzern Nestlé, derim nahen Vevey seinen Stammsitz hat - sind ambitioniert. Denn es sollgezeigt werden, was Chaplin als Regisseur, Drehbuchautor, Produzentund Komponist in einem halben Jahrhundert hinterlassen hat. 80 Filmedrehte Chaplin, darunter «Goldrausch», «Lichter der Großstadt»,«Moderne Zeiten» und «Der große Diktator».

Gedacht ist an ein «kinematografisches Universum» mit einerZeitreise von den bescheidenen Anfängen Chaplins im London des späten19. Jahrhunderts bis zu den glänzenden Zeiten in Hollywood und derSchweiz. Es wird ein Theater mit 200 Sitzen für Multimedia-Spektakelmit 3D- und HD-Bildern, mit Surround-Akustik, Lichtkonzepten,animierten Kulissen und Spezialeffekt-Techniken geben. Der Besuchersoll auch einen Bildschirm durchschreiten und mitten in für Chaplintypische Filmkulissen eintauchen. Es sollen multimediale Räumeentstehen, die den Besucher die ganze Skala an Emotionen durchlebenlassen, die dem Leben Chaplins innewohnten - so die Visionen.

Durand hofft, bald im großen Garten einen Baum pflanzen zu können.Dies wäre dann symbolisch der «Spatenstich» und Baubeginn. Bis aufdie Fassade des Herrenhauses, die behutsame Restaurierung derHaupträume mit von der Familie bereitgestellten Möbeln undUtensilien, dürfte nicht viel wiederzuerkennen sein. Was genauausgestellt wird - neben den Originalmöbeln - steht noch nicht fest.Immerhin können die Museumsgestalter aus einem bei Montreux lagerndenArchiv aus rund 600 000 Stücken - darunter Fotos, Bücher, Bilder undBriefe - auswählen.

So werden auch die Garagen, in denen zwei Bentleys von Chaplinstanden, völlig umgebaut. Über ihnen gab es ein Appartement fürGäste, in dem unter anderem Michael Jackson übernachtete. Er, der2009 so früh gestorbene «King of Pop», wäre gerne einer der großenSponsoren geworden, heißt es. Ansonsten werden Restaurants,Kartenverkaufsstellen, Terrassenplätze und Ruhezonen im Park zumVerweilen errichtet.

Die Familie Chaplins steht nach eigener Aussage voll hinter demProjekt. Geraldine, Chaplins älteste Tochter, lebt ab und an in derRegion. Die Angehörigen tragen kräftig dazu bei, dass fast alles mitBezug zu Chaplin aus aller Welt nach Corsier zurückgebracht wird. Essoll einst zeigen, was sie alle umgab, als Sir Charles SpencerChaplin mit seiner Ehefrau Oona O'Neill, der Tochter des US-Dramatikers Eugene O'Neill, hier so glücklich war. Bis er anWeihnachten 1977 im Alter von 88 Jahren starb.

Charlie und Oona sind in Corsier-sur-Vevey begraben. Jaquet weiß,dass zumindest die virtuelle Rückkehr seines Schaffens für die Regionvorteilhaft sein wird. Er weiß aber auch, dass manche das in demGebiet, das an die Region Lavaux, dem Weltkulturerbe der UNESCO,grenzt, kritisch sehen. Welterbe und Massentourismus ist hier nichtjedermanns Sache. Andererseits steht an der Uferpromenade von Veveydie vielbesuchte Charlie-Chaplin-Statue, und jedes Jahr findet dasFestival International du Film de Comédie de Vevey statt. «Chaplinist Teil der Riviera», sagt Jaquet unter Hinweis darauf, wie dieseRegion sich selber nennt.

Aber wie Chaplin, der sein Wirken immer an die Zeiten angepassthat, könnte auch dieses Projekt in die Zukunft weisen. Etwa wie maneine Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts den Menschen des digitalen 21.Jahrhunderts so nahe bringt, dass sie einander bestens verstehen.Oder wie Sohn Michael Chaplin es formulierte: «Der Rückgriff auf dieTechniken des Multimedialen und der Virtual Reality scheint unspassend, denn unseres Erachtens werden diese die Begegnung mit demWerk aus Schatten und Licht, das für unseren Vater charakteristischist, für die Kinder von heute magischer und zeitgemäßer machen.»