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Ausstellung Ausstellung: Der Blütenstaub der Welt

Von ANDREAS HILLGER 14.08.2011, 15:41

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Ob er glücklich war? Wenn man die Bilder des Carl Marx betrachtet, dann ist man geneigt, daran zu glauben. Immer sind da diese schönen, sinnlichen Frauen, diese satten Farben und die fantastischen Anreicherungen der profanen Welt. Doch wenn man die Biografie des Künstlers liest, der am 18. August vor 100 Jahren geboren wurde und am 10. März vor 20 Jahren starb, dann erkennt man bald die Tristesse, der diese Heiterkeit abgetrotzt war - die Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, die schwere Verwundung im Zweiten Weltkrieg und schließlich die Verfemung zu DDR-Zeiten. Als ostdeutsches Künstlerleben ist dies durchaus typisch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die prägendste Erfahrung aber sammelte der Industriearbeiter-Sohn aus Göttnitz bei Bitterfeld in jener kurzen Zeit, die er am Bauhaus in Dessau und Berlin verbringen durfte. In der Ausstellung, die zu seinem 100. Geburtstag nun im Dessauer Meisterhaus Kandinsky-Klee gezeigt wird, findet man einen Bescheid der Anhaltischen Landesregierung von 1932, in dem Marx eine Stipendium von 75 Reichsmark aus einem Fonds zur Förderung "begabter, unbemittelter" Studenten zugesagt wurde. Da hatte der junge Mann bereits eine Lehre als Dekorationsmaler und Wanderjahre durch Deutschland, Österreich und die Schweiz hinter sich. Dass es ihn ausgerechnet an das Bauhaus zog, hatte gewiss auch mit seiner Prägung in der Sozialistischen Arbeiterjugend zu tun.

Was er hier bei Meistern wie Josef Albers, Joost Schmidt und Wassili Kandinsky lernte, sollte das ganze weitere Leben von Carl Marx beeinflussen - weniger in der stilistischen Imitation solcher Lehrer als vielmehr in der Konsequenz des eigenen Werdegangs. Zunächst freilich durchlitt Marx eine Zeit der Arbeitslosigkeit, deren künstlerischer Ertrag in der Jubiläumsschau vor allem in Form von hellsichtigen politischen Karikaturen gezeigt wird: Schnelle Skizzen aus der Volksküche und der Stempelhalle für die Armen, aber auch typische Vertreter der "Deutschen Parteien" von 1932 - vom knebelbärtigen SPD-Funktionär bis zum schmissigen Deutschnationalen.

Dieses Konvolut aus dem Besitz der Stiftung Bauhaus Dessau entdeckt einen ebenso unbekannten Marx wie seine Aquarelle aus dem Dessauer Park Luisium oder der Stadtgärtnerei Ziebigk - Blätter, die bestenfalls einen handwerklichen Anspruch behaupten und gewiss einzig dem Broterwerb dienten. Im Mittelpunkt der Ausstellung aber stehen jene lebensprallen, oft humorvoll inszenierten Gemälde, für die man Marx zunächst als Formalist schalt und später als originellen Meister feierte: "Die Schweinezüchterin und der Intellektuelle" etwa, ein Bild, das zwischen der jungen, selbstbewussten Frau und ihrem älteren Galan eine ganze Geschichte entwickelt. Das "Backfisch-Aquarium", in dem sich Zwitterwesen aus Mensch und Fisch tummeln. Der "Garten der Lüste" und die "Musique de la Nuit", die synästhetische Feste der Form und Farbe feiern. Und schließlich die "Demutsgeste" von 1989, in der ein roter Mann die Unterwerfung unter die neuen Verhältnisse übt ...

Selten war Carl Marx, der bis zu seinem Tod eine unverwechselbare Erscheinung im Dessauer Stadtbild blieb, so konkret politisch wie in diesem Reflex auf Zeitgeschichte. Meist flüchtete er sich in eine eigene Welt, deren Risiken eher artistischer Natur waren: Der Zirkus hatte es ihm angetan, wo er der "Todesspringerin Monjou" begegnen konnte - oder die Literatur, aus der er Figuren wie Pepa und Mo zum Leben erweckte, Gestalten aus Thornton Wilders "Brücke von San Luis Rey". Polemisch wurde der Malerpoet nur dann, wenn er das Erbe seiner Schule und damit zugleich seine eigene künstlerische Basis gefährdet sah: Sein "Song vom letzten Bauhausfest" ist eine Beschwörung der untergegangenen Epoche, der "Bauhaus-Treff" von 1988 eher eine Karikatur einer Gegenwart, in der das Wort "Experiment" als Basis der historischen Akademie zu einem Transparent verkommen ist.

Wie er sich selbst und seine Kunst sah, hat Carl Marx 1975 einmal so formuliert: "Alles Lebendige, ob Mensch, Tier oder Baum will an jedem Tag neu betrachtet sein und angesehen werden wie ein Wunder, aber es muss zugleich aus dieser Umwelt auch der Blütenstaub in die Nase eingesogen werden." Eine solche Droge, die das Aroma der Welt zum Extrakt verdichtet, ist auch die Kunst des Carl Marx in ihren besten Momenten. Dass im Dessauer Ratssaal bis heute ein Wandgemälde von ihm und seinen Kollegen hängt, das nach der Wende schamhaft verkleidet wurde, sollte man angesichts seines Jubiläums neu diskutieren.

Ausstellung bis zum 30. Oktober, Di-So 10-18 Uhr