Ausstellung "Begegnung Karl Blossfeldt & Neo Rauch" Ausstellung "Begegnung Karl Blossfeldt & Neo Rauch": Der Star und seine Stadtausstellung

Aschersleben - Das Kunstwerk Nummer eins ist hier der Künstler selber. Wenn Neo Rauch, der in Leipzig lebende Malerstar, den Raum betritt, erstirbt das Getuschel, alles schaut gebannt nach vorn. In seiner Grafikstiftung in Aschersleben, die 2012 eingerichtet worden ist, wird der Namensgeber wie ein rohes Ei behandelt. Und wie ein Heiliger verehrt.
Kerstin Wahala, die Vorsitzende des Vorstands der Grafikstiftung Neo Rauch, berichtet, wie sie ihm, Rauch, die Idee für die Doppel-Ausstellung mit Karl Blossfeldts Fotografien nahezubringen versuchte: Unsicher sei sie gewesen, wie er reagieren würde, gesteht Wahala. „Aber er sah mich nur an und sagte ,Ja!‘“. Später wird sie über die Arbeiten, die Rauch für die Ausstellung produziert hat, sagen: „Neo hat ein Wunder vollbracht.“
Respekt und Bewunderung
Auf den ersten Blick, nach dem ersten Hinhören könnte man meinen, dieser Kult gefiele Neo Rauch gut. Aber vielleicht ist das gar nicht so, der Großmeister der gemalten magisch-surrealen Welten, die man irgendwo im Land der Hobbits vermuten könnte, wirkt hinter dem Abstand, den er zu wahren versucht, dennoch eher bescheiden. Obwohl er natürlich weiß, was er wert ist. Sie sagen es ihm ja alle. Und der Hype um seine Bilder sagt es auch. Trotzdem ist Neo Rauch aus der Nähe betrachtet weniger unnahbar, als man gedacht hatte.
Dieses Phänomen droht beinahe das eigentliche Ereignis, die Ausstellung „Begegnung Karl Blossfeldt & Neo Rauch“, zu überlagern. Aber beides hat eben auch miteinander zu tun. Wenn Rauch über den 1932 gestorbenen Kollegen Blossfeldt redet, spürt man sofort den Respekt, die Bewunderung vor dem formenstrengen, meisterlichen Werk des Fotografen, der Pflanzen derart plastisch aufgenommen und vergrößert hat, dass man das Wesentliche des Lebens, die Essenz, wie Neo Rauch es einmal nennt, fast körperlich spürt.
Faible für die Natur
Blossfeldt stammt aus Schielo im Harz, der 1865 Geborene hat früh ein Faible für die Natur erkennen lassen, war ein sehr guter Zeichner und Plastiker, schließlich auch ein angesehener Kunstprofessor in Berlin, 1928 erschien sein Bildband „Urformen der Kunst“, der bis heute so berühmt ist wie Blossfeldts Pflanzenfotografien.
Neo Rauch hat das Buch durch einen puren Zufall schon als Zehn-, vielleicht Zwölfjähriger kennengelernt und war fasziniert. Die Umstände hat er in einem Kurzessay, der im Katalog zur Ausstellung nachzulesen ist, geschildert. Rauch, der im April 1960 in Leipzig geboren wurde und kurz darauf seine Eltern durch ein Zugunglück verlor, ist bei den Großeltern in Aschersleben aufgewachsen. Als ein Verwandter gestorben war, reiste man nach Halberstadt, um den Haushalt des Toten aufzulösen.
Dort stieß Neo Rauch auf eine Märchenwelt aus Büchern und Kunst, wie er sie aus seiner eher pragmatischen Häuslichkeit wohl nicht kannte - alles unverändert seit Jahrzehnten, wie der Maler sich erinnert. Unter den Funden war auch Blossfeldts „Urformen der Kunst“. Und eine Mütze mit einem silbernen Totenkopf. Von Räumen, „in denen die Zeit stillstand und in denen auch das Böse anwesend war“, schreibt Neo Rauch.
Man kann sich, in aller Vorsicht, ein Bild machen von ihm - etwas, das er selber vielleicht am wenigsten möchte. Man sieht einen hoch begabten, suchenden Jungen vor sich, der die mittelalterlichen Gassen von Aschersleben durchstreift, so berichtet es Rauch selber. Der den erlittenen Verlust wie ein Trauma herumschleppt und sich zur Kunst hingezogen fühlt. Nach Leipzig ging es zurück, wo er zur Welt gekommen war, fort aus Aschersleben, das ihm dennoch Heimat bedeutet. Natürlich sei das so, sagt er, es klingt fast unwirsch und doch auch weich. Allein, dass er sein grafisches Werk der Stadt gegeben hat, sagt viel über diese Beziehung aus. Auch in Leipzig, lässt sich denken, würde man seine Stiftung mit Freuden aufgenommen haben.
„Ein Bild sollte etwas von einer Pflanze haben“
Die frühe Begegnung mit Blossfeldt aber, gesteht Rauch, habe eine Saite in ihm zum Schwingen gebracht, „die womöglich nach wie vor klingt“. Da sind die Bezüge zu Blossfeldts Werk nicht weit herzuholen gewesen, „ein Bild sollte immer etwas von einer Pflanze haben“, findet der Maler.
Auch in seiner Sprache ist Neo Rauch der Zeit bisweilen sonderbar entrückt, sie ist der Soundtrack zu seinen verrätselten, anscheinend weltfernen Bildern, die freilich doch einen starken Wirklichkeitsbezug gewinnen, nimmt man das Märchenhafte als Grundlage der Betrachtung an. Dann lassen sich mühelos Brücken in eigene Gefühls- und Denkräume schlagen - mal zum Dunklen hin, das auch in einem wohnt, mal zur ewigen Sehnsucht nach Vollkommenheit und Harmonie.
Neo Rauch ist in der Perfektion seiner Manier wohl am ehesten als Neu-Romantiker zu begreifen, der Begriff Neo-Romantiker klänge hier wie ein Kalauer. Im Zwiegespräch mit Blossfeldt, dem Analytiker des Ästhetischen, mag einen Rauchs Besonderheit nun noch einmal anders ansprechen und schärfere Kontur gewinnen.
Grafikstiftung Neo Rauch, Wilhelmstraße 21-23, Aschersleben, bis zum 24. April 2016, geöffnet Mi-So, Febr.-Okt. 11-17, Nov.-Jan. 10-16 Uhr, Eintritt 4, ermäßigt 2,50 Euro.
