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Aufregende Zwanziger Aufregende Zwanziger: Kunsthalle Talstraße zeigt Werke der Klassischen Moderne

Von Andreas Montag 03.11.2019, 11:00
Werner Scholz: „Halbweltdame am Caféhaustisch“, 1929, Farblithografie auf Papier, Sammlung Frank Brabant (Ausschnitt)
Werner Scholz: „Halbweltdame am Caféhaustisch“, 1929, Farblithografie auf Papier, Sammlung Frank Brabant (Ausschnitt) Nachlass Scholz

Halle (Saale) - Dass er die Achtzig überschritten hat, möchte man ihm nicht glauben. Und dem klassischen Bild eines Kunstsammlers, der aus betuchtem Bürgerhause kommt und die Leidenschaft für Bilder schon als Kind aufgesogen hat, entspricht er auch nicht. Frank Brabant, 1938 in Schwerin geboren und mit 20 Jahren nach Verfolgung durch das Ministerium für Staatssicherheit „rübergemacht“ in den Westen, ist das, was man im Englischen einen Selfmademan nennt.

Von diesem Samstag an wird in der halleschen Kunsthalle Talstraße die Ausstellung „Das Frauenbild der 1920er Jahre“ mit Werken der Klassischen Moderne aus der Sammlung Brabant gezeigt, die am Freitagabend eröffnet worden ist. Eine Versammlung von Hochkarätern wie Kirchner, Lissitzky, Pechstein und Schmidt-Rottluff neben unbekannteren, aber nicht weniger köstlichen Werken von Künstlern der „verschwundenen“ Generation.

Ausstellung in Halle als kunsthistorische Fundgrube

Gemeint sind damit jene Hochtalentierten, die nach dem Abklingen des Expressionismus im Sog der Neuen Sachlichkeit in den 1920er Jahren an den Start gingen und schon bald, als die Nationalsozialisten Deutschland regierten, um ihre Chance der Wahrnehmung und Entwicklung kamen. Sie mussten emigrieren oder verloren ihr Leben im Krieg. Heute werden Maler wie Johannes Wüsten, Erich Borchert, Rudolf Bauer und Werner Scholz wiederentdeckt und sind auf dem Markt gefragt.

Frank Brabant hat beizeiten begonnen, solche Künstler „auszugraben“ und so eine Sammlung geschaffen, die nicht nur von großer Schönheit, sondern zugleich eine kunstgeschichtliche Fundgrube ist. Auf Auktionen habe er für wenig Geld „die liegengebliebenen Arbeiten gekauft, von denen ich dachte, dass sie Qualität haben“, sagt der Sammler bescheiden. Aber man spürt auch seinen berechtigten Stolz.

Frank Brabant sammelte Werke der 20er Jahre

Am Donnerstagabend hat er im Gespräch mit Matthias Rataiczyk, dem Hausherren des Kunsthalle, über sein Leben und seine „Kinder“ gesprochen. Rund 600 Bilder sind es inzwischen, über deren weiteres Geschick Brabant geradezu salomonisch entschieden hat: Die eine Hälfte der kostbaren Werke wird seiner Geburtsstadt Schwerin zukommen, die andere seiner Wahlheimatstadt Wiesbaden.

Wie er aber überhaupt zum Sammler geworden ist, muss man als Werbung für die Wirkungsmacht der Kunst weitersagen: Als junger Mann noch, der als Lagerist in einem Kaufhaus zu arbeiten begonnen hatte und in prekären Verhältnissen lebte, verliebte er sich in einer Galerie in eine Grafik von Max Pechstein. Die kostete 300 Mark - ungefähr so viel, wie Brabant damals monatlich netto zur Verfügung hatte. Also bezahlte er das Bild in Raten.

Später hat Brabant dann deutlich mehr Geld verdient - als Betreiber einer Diskothek in Wiesbaden, der ersten, die sich im Rhein-Main-Gebiet an ein schwules Publikum wandte. Das war auch kein leichtes Unterfangen: „Die Zeit musste erst reif werden für derartige Treffpunkte“, sagt Brabant. Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen gehört zum unseligen, zähen Erbe, das die Nazis den Nachfahren ihrer Wähler hinterlassen haben.

Über der Geschichte „liegt nur dünner Firnis“, sagt Frank Brabant am Donnerstag. Natürlich redet man auch hier, in der Kunsthalle, über den rechtsextremistischen Mordanschlag von Halle, der die Stadt und das ganze Land nachhaltig erschüttert hat.

Ausstellung der Sammlung Brabant in Halle als großer Wurf

Bei diesem Thema wird der Sammler, der gern lacht und ein liebenswürdiger Mensch ist, sehr ernst. Er beschreibt das Muster, das er immer noch sieht: Ich habe nichts gegen Juden, aber ich will nichts mit ihnen zu tun haben. Ich bin nicht gegen Farbige und Schwule, aber bringe mir keinen von denen ins Haus. Ein bitterer Befund, der dichter bei der Wahrheit liegt, als viele Zeitgenossen es sich eingestehen wollen.

Die Ausstellung in der halleschen Talstraße ist jedenfalls ein Wurf. Das Frauenbild der 1920er Jahre, aus dem kurzen Frühling der Demokratie in Deutschland, dem krisengeschüttelten Zwischenreich zwischen Kaisermuff und Nazigräueln, spiegelt die ganze Zeit und provoziert zudem aus der Rückschau auch den Blick in unsere Gegenwart.

Zum Thema, wie jeweils zeitgenössisch der Blick auf die Frau und ihr Bild ist, sollte auch Männern etwas durch den Kopf gehen: Die kühle Emanzipierte. Die schöne Verführerin. Das begehrte Lustobjekt. Die Ausgebeutete und die Freie. Alles ist versammelt in den Ausstellungsräumen. Gut denkbar, dass Frauen und Männer dort darüber ins Gespräch kommen.

Von der Kunst aus der DDR besitzt Frank Brabant wenig . Er habe, anders als andere Sammler, keine Kontakte zu Herrn Schalck-Golodkowski gepflegt, sagt er. Da war es schwierig, Gemälde von Ost nach West zu bringen. Aber ein Bild von Hans Ticha würde er jedenfalls gern noch kaufen für seine Sammlung. Die Leidenschaft hört nicht auf.

Kunsthalle Talstraße, Halle, Talstraße 23, bis zum 9. Februar, Di-Fr 14-19, Sa, So 14-18 sowie an Feiertagen 14-18 Uhr

(mz)

Richard Ziegler: „Zwei Frauenköpfe“, 1924, Lithografie, aquarelliert auf Papier, Sammlung Frank Brabant
Richard Ziegler: „Zwei Frauenköpfe“, 1924, Lithografie, aquarelliert auf Papier, Sammlung Frank Brabant
VG Bild-Kunst