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Arturo Toscanini Arturo Toscanini: Genie, Diktator und Wüterich

Von Peer Meinert 10.01.2007, 07:24
Ungeachtet scharfer Rivalität zu Kollegen und manch herber Kritik - der italienische Dirigent Arturo Toscanini (Archivfoto 04.04.1954) war wohl der berühmteste Dirigent des 19. und 20. Jahrhunderts. (Foto: dpa)
Ungeachtet scharfer Rivalität zu Kollegen und manch herber Kritik - der italienische Dirigent Arturo Toscanini (Archivfoto 04.04.1954) war wohl der berühmteste Dirigent des 19. und 20. Jahrhunderts. (Foto: dpa) UPI

Rom/dpa. - Doch die Unerbittlichkeit, mit der er seinen Musikern und sich selbstPerfektion abverlangte, machten ihn zum «Maestro assoluto»,frenetisch gefeiert von New York bis Mailand, verehrt und bewundert -seltener wohl geliebt. Vor 50 Jahren, am 16. Januar 1957, starbArturo Toscanini fast 90-jährig in New York. Ungeachtet scharferRivalität zu Kollegen und manch herber Kritik - er war wohl derberühmteste Dirigent des 19. und 20. Jahrhunderts.

Diejenigen, die ihn noch erlebt haben, greifen durchaus auch zuWorten wie «Diktator» oder «Machthunger», wenn sie von ToscaninisAuftritten sprechen. Ob Beethoven oder Verdi - kompromisslos ging esihm nur um Eines: Werktreue. Er wollte der Partitur gerecht werdenund sonst gar nichts. «Castità» nannte er das, Keuschheit undReinheit, Interpretationen oder Differenzierungen am Werk lehnte erkategorisch ab, Starkult der Dirigenten war ihm zuwider. Kritikernannten seine Haltung «Sklaverei der Partitur».

Als der Maestro einmal Beethovens donnernd-pathetischen erstenSatz der «Eroica» dirigierte, meinte der kleinwüchsige Schneidersohn:«Manche sagen, das ist Napoleon, manche Hitler, manche Mussolini. Fürmich ist es einfach Allegro con brio.» Ein giftiger Widersacher warder Musik-Philosoph Theodor W. Adorno, der nannte die aus peniblerWerktreue geborene Musik «Fertigfabrikat», den Maestro«Kapellmeister» oder «Taktschläger». Das kam fast übler Nachredegleich.

Der am 25. März 1867 in Parma Geborene legte früh ungewöhnlicheFähigkeiten an den Tag: Eine Lehrerin entdeckte, dass er ganzeGedichte nach ein Mal Lesen auswendig aufsagen konnte, dass er amKlavier jede Note sofort traf, die soeben noch gesungen wurde.  Mitneun Jahren kam der Hochbegabte ins Konservatorium, derInternatsschüler konnte seine Eltern lediglich einmal pro Woche sehen- noch als Erwachsener sprach er von «Gefängnisatmosphäre». Nach demAbschluss schlug sich der junge Toscanini zunächst als Cellist ohnefestes Engagement durchs Leben.

Den ersten großen Auftritt feierte er als 19-Jähriger, der jungeCellist war mit dem Impresario Claudio Rossi auf Südamerikatournee,als es zu Streit mit dem Dirigenten kam. In Rio de Janeiro warf Rossiden Dirigenten raus und teilte Toscanini nur Minuten vor der Aida-Aufführung mit, dass er ans Pult müsse.

Der junge Mann hatte noch nie eine Oper dirigiert, auf demDirigentenpult fand er lediglich einen Klavierauszug vor, einkompletter Notensatz stand nicht zur Verfügung. Es hätte eineKatastrophe geben können - doch Toscanini griff zum Taktstock unddirigierte aus dem Gedächtnis. Es war der Auftakt zu einerunvergleichlichen Karriere.

1886 berief man ihn an das Teatro Carignano in Turin, wenig späterging er an die Mailänder Scala. Im Jahr 1907 verließ der schwierigeAusnahme-Dirigent nach Querelen das Haus und übernahm diekünstlerische Leitung der New Yorker Metropolitan Opera. Allein dieListe seiner Uraufführungen ist beeindruckend: «Pezzi sacri» vonGiuseppe Verdi, «Bajazzo» von Ruggiero Leoncavallo, «La Boheme» und«Turandot» von Giacomo Puccini sowie Opern von Umberto Giordano undIldebrando Pizzetti - und stets dirigierte er Konzerte und Opern ausdem Gedächtnis.

Unter den Nazis weigerte er sich, in Deutschland zu spielen, auchim Mussolini-Italien hielt er es nicht lange aus, 1937 ging er nachNew York ins Exil, wo er das NBC-Rundfunk-Orchester leitete -unvergessliche Schallplattenaufnahmen gibt es noch heute.

Ebenso legendär wie seine Musik und seine Wutanfälle waren seineRivalitäten, allen voran mit dem deutschen Konkurrenten WilhelmFurtwängler. Furtwängler nannte Toscaninis Erfolg schlicht«verhängnisvoll», bedauerte, «dass in Amerika die Menschen meinen,dass Beethoven so klingen soll». Toscanini revanchierte sich, nannteden Konkurrenten einen «Hanswurst». Strenger als die Kollegenscheltewar nur seine Selbstkritik. Wenn bei einem Auftritt etwa schief lief,sagte Toscanini, «ist das immer meine Schuld, wer glaubt, dassMozart, Beethoven, Wagner oder Verdi sich irren, ist ein Idiot».