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Armin Mueller-Stahl Armin Mueller-Stahl: Der aus dem Osten

Von christian eger 06.05.2014, 09:27
Armin Mueller-Stahl: Ostpreuße, DDR-Bürger, Deutscher mit amerikanischer Staatsbürgerschaft
Armin Mueller-Stahl: Ostpreuße, DDR-Bürger, Deutscher mit amerikanischer Staatsbürgerschaft dpa Lizenz

Halle (Saale)/MZ - In Memel, um 1900 die östlichste Stadt Deutschlands, erzählte man sich eine Geschichte, schreibt Armin Mueller-Stahl. Dass da auf dem Wasser ein Schiff mit einer Theatergruppe fuhr, kenterte und alle ertranken. „Nur ein Kind wurde gerettet“, notiert der Schauspieler. „Das war mein Vater, der Herr ohne Namen. Er wurde bei einer Familie Müller aufgezogen.“

Daran ist nichts wahr, aber manches richtig. Der Vater des Schauspielers kam nicht auf dem Wasser in die ostpreußische Provinz, sondern als Sohn eines Opernsängers, der die Mutter des Kindes verließ. Darüber wollte man in der Familie Müller nicht reden. Die Legende erfand sich wie von selbst.

Erfundener Familienname

Alfred Müller, der sich als Ehemann mit fünf Kindern in der Kreisstadt Tilsit (heute Sowjetsk) etablierte, war ein Mensch im falschen Leben. Eigentlich wollte er Schauspieler sein oder Literat, blieb aber Bank-Kassierer. Weil er im Osten aufwuchs, zog es ihn immer „näher in die Mitte“, schreibt sein 1930 in Tilsit geborener Sohn.

Der heißt Armin, weil der Vater germanische Namen liebte. Die „Mitte“, zu der es ihn zog, war Berlin. Und der Familienname? Den hat der Vater erfunden. Denn inmitten des ostpreußischen Adels, in den ihn seine Ehe brachte, klang „Müller“ nach nichts. Alfred machte ein „Mueller“ daraus und hängte ein „Stahl“ daran. Das hatte etwas Markantes. Auch „Mueller-Burghausen“ war im Gespräch.

Da hat unser Mann in Hollywood Glück gehabt. Und nicht nur damit. Die Mitteilungen über den Vater, das Tilsit („für mich die Stadt des Winters“) und Ostpreußen seiner Kindheit stehen am Anfang von Armin Mueller-Stahls Erinnerungsbuch „Dreimal Deutschland und zurück“. Das hat der Schauspieler mit den drei Wohnsitzen (Los Angeles, Berlin-Köpenick, Lübecker Bucht) nicht selbst geschrieben, sondern erzählt; notiert wurde es von dem Journalisten Andreas Hallaschka. Das beschert dem Text eine überraschende Dichte an Informationen, denen es aber oft an Vertiefung mangelt, so wie an einem epischen Fluss, der durch steuernde Einschübe des Journalisten unterbrochen wird. Aber das Material ist doch erstaunlich. Nicht nur in seiner Fülle an Bildern und Momenten (Ostpreußen, die DDR, der Westen), sondern auch in seinem kulturhistorischen Gehalt.

Von Ostpreußen nach Prenzlau

Unverkennbar ist Armin Mueller-Stahl ein Sohn seines Vaters, der 1937 mit der Familie von Tilsit nach Prenzlau („in die Mitte“) zog. Die Konflikte, die Alfred nie lösen konnte, hält der Sohn spielerisch in Balance. Alles fliegt ihm zu. Er ist in Westberlin von 1948 an Musikstudent, der - gegen seine natürliche Verklemmtheit - 1949 wie zufällig in Ostberlin Schauspieler wird. Von der Volksbühne gelangt er 1960 zum Defa-Film („Fünf Patronenhülsen“), was er künstlerisch verachtet: „Für viel Geld nischt machen“. Bis heute kann Mueller-Stahl, der zuletzt als Thomas Mann überzeugte, das Spielen, Musizieren, Malen und Schreiben in Einklang bringen; ganz so, als wäre der helle Gleichmut seiner östlichen Herkunftslandschaft ein Wesenszug seiner Persönlichkeit.

Dreimal Deutschland. Das meint die Flucht der baltendeutschen Mutter 1918 von Petrograd weg nach Tilsit. Den Umzug der Familie von Ostpreußen nach Prenzlau. Schließlich die Ausreise von Ost-nach Westberlin 1980 - mit der Weltkarriere im Anschluss, die Mueller-Stahl die amerikanische Staatsbürgerschaft einbrachte.

Erhellend gelingen dem Erzähler die Nachrichten aus dem Kultur-Alltag der DDR. Brecht sah er - wie jedes künstlerische „Formattheater“ - mit Distanz, dessen Epigonen belächelte er („bei einem Manfred Wekwerth ging das bis zu Kleidung und Brille“), den Schweizer Wahl-Ostberliner und Volksbühnen-Regisseur Benno Besson lehnte er künstlerisch, menschlich und in seiner politischen Ängstlichkeit ab. Bei Besson beobachtet Mueller-Stahl  „die Geburt des Manierismus aus dem Geist der Feigheit“. Einige Seitenblicke überraschen. So auf den amerikanischen DDR-Bürger und Schlagerstar Dean Reed: Er „kam mir vor wie eines dieser Spielzeugautos, die auf dem Tisch bis zur Kante fahren können und automatisch wieder umdrehen“. Oder auf den Schriftsteller Franz Fühmann, mit dem der Schauspieler befreundet war und durch die Wälder zog.

Mueller-Stahl gelingt das Kunststück, einerseits dem DDR-Staat sehr dienstbar zu sein (einer seiner größten Erfolge ist der Stasi-Agent Bredebusch in „Das unsichtbare Visier“), andererseits den Eindruck zu erwecken, er stünde in einer Art grundnaiven Distanz zu den Verhältnissen, die ihn benutzten - und die er benutzte.

Ein Haus in Kalifornien

Nicht „näher“ zur, sondern ab durch die Mitte: Das war die Richtung von Armin Mueller-Stahl. Er hatte Glück. Und die Begabung dazu. Das trennt ihn heute von manchem Weggefährten. Als er nach 1989 den Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase („Sommer vorm Balkon) besuchte, sah dieser ein Foto von Mueller-Stahls Haus am Pazifik. Ist das dein Haus da?, fragte er. Ja, sagte Mueller-Stahl. „Es kam an diesem Abend kein wirklich herzliches Gespräch mehr zustande.“ Und keine Begegnung danach.

Armin Mueller-Stahl: Dreimal Deutschland und zurück. Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 19,99 Euro