ARD-Film über von Terror von Rechts ARD-Film über von Terror von Rechts: Taten von Neonazis werden noch immer verharmlost

Magdeburg - Im Sommer 2013, gut eineinhalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU und seiner Mordserie, steht ein junger Mann vor dem Quedlinburger Amtsgericht: Die Staatsanwaltschaft wirft Silvio W. aus Thale (Landkreis Harz) den unerlaubten Umgang mit Waffen und Munition vor. Es ist nicht das erste Mal, dass der bekennende Rechtsextremist mit Waffen erwischt wurde. Und nicht nur damit.
Im April 2012 waren bei einer Razzia bei dem damals 25-Jährigen neben diversen Waffen und Waffenresten je 1,5 Kilogramm TNT und Schwarzpulver sichergestellt worden. Neben den Explosivstoffen besaß W. auch Sprengkapseln - und damit alle Zutaten, um eine Bombe zu bauen. So war es damals in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu lesen. Und auch, dass die Staatsanwaltschaft Magdeburg zunächst erklärte, es gebe keine Kontakte des Verdächtigen in die rechtsextreme Szene. Das war falsch, doch erst nachdem Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) auf Nachfrage einen solchen Zusammenhang bestätigte, korrigierte sich auch die Staatsanwaltschaft.
Etliche Fälle in monatelanger Recherche entdeckt
Im Verfassungsschutzbericht 2012, erschienen im Mai 2013, heißt es dazu: „Tatverdächtiger ist ein bekannter Rechtsextremist...“. Bei der Urteilsfindung vor dem Amtsgericht spielte das keine Rolle. W. wurde zu 50 Tagessätze á 30 Euro verurteilt. Offenbar interessierte das Gericht auch nicht, dass W. bereits einschlägig aufgefallen war: Im September 2011 verwarnte ihn das Quedlinburger Gericht aufgrund des unerlaubte Besitzes einer halbautomatischen Waffe, Munition und dem unerlaubten Umfang mit Sprengmitteln. Die Verwarnung war zur Bewährung ausgesetzt - im Fall eines Verstoßes gegen die zweijährige Bewährungszeit sollte Silvio W. 40 Tagessätze á 25 Euro zahlen. Nach dem Urteil um Juni 2013 wurde auch diese Strafe fällig. Heißt: Wer als Neonazi in Deutschland fortgesetzt Waffen sammelt und das Material für Bomben hortet, muss höchstens mit 2 500 Euro Strafe rechnen.
Geschichten wie diese sind es, die den Filmemacher Thomas Reutter umtreiben. In einer monatelangen Recherche hat Reutter für die ARD-Reportagereihe „Die Story im Ersten“ hat er etliche Fälle entdeckt, bei denen sich der Eindruck aufdrängt, dass Ermittlungsbehörden und Richter auf dem rechten Auge eine Sehschwäche haben: „Mein Eindruck ist, dass es einzelne Staatsanwaltschaften, Polizeidienststellen und Amtsgerichte gibt, die das Problem der Neonazis noch immer nicht so einordnen, wie sie es müssten“, sagt Reutter.
Sprengstoffanschlag geplant
Etwa in Freiburg in Baden-Württemberg: Dort planten mehrere Rechtsextremisten einen Sprengstoffanschlag auf ein Antifa-Treffen. Und zwar auf höchst perfide Weise: Die Tatverdächtigen wollten eine Rohrbombe aus einem unbemannten Flugzeug auf die Versammlung abwerfen. Als Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt die Gruppe hochgehen ließ, war das Flugzeug einsatzbereit und von der Nutzlast her in der Lage, die zuvor mehrfach getestete Rohrbombe zu transportieren. Einzig eine Abwurfvorrichtung fehlte noch. Doch das reichte für die Staatsanwaltschaft Freiburg aus, die Ermittlungen wegen „Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens“ einzustellen. Es habe sich um eine „Suff-Idee“ gehandelt, zitiert der Staatsanwalt den Hauptangeklagten zur Begründung.
Ein Klassiker in solchen Ermittlungen, hat Reutter festgestellt: „Verharmlosend werden aus Sprengstoffanschlägen Böllerwürfe gemacht und aus militanten Neonazis werden Saufköpfe und Waffennarren – um die Angeklagten zu entlasten.“ Bei dem Hauptangeklagten im Rohrbomben-Prozess handelt es sich um den Rechtsextremisten Oliver R.; nach Ansicht einer Rechtsanwältin gut vernetzt in der Neonazi-Szene in Süddeutschland. Und: Oliver R. hat bei einem Sprengstoffanschlag auf einer Demonstration wenige Wochen zuvor mehrere Menschen verletzt, darunter auch einen Polizisten. Für Reutter ist der Fall Freiburg „das erschreckendste Beispiel“ seiner Recherche. R. und ein Mittäter werden später zu Bewährungsstrafen verurteilt, zwei weitere Täter zu geringen Geldstrafen. „Man stelle sich einmal vor, bei den Tatverdächtigen hätte es sich um Islamisten gehandelt: Ich bin davon überzeugt, dass dann die Staatsanwaltschaft ganz anders agiert hätte“, sagt Reutter.
Reutters Film macht eine klare Diskrepanz deutlich zwischen den Feststellungen von Verfassungsschützern, die - wie im Fall des Thalensers Silvio W. - von Rechtsterrorismus sprechen und dem Agieren von Staatsanwaltschaften und Gerichten, die solche Fälle verharmlosend als die Taten von Waffenfreaks darstellen. Verbindungen in die Neonazi- und Kameradschaftsszene werden nicht zur Kenntnis genommen oder wissentlich ignoriert. Es scheint, als hätten Teile der deutschen Justiz die Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrund schon wieder zu den Akten gelegt und eine Wiederholung ausgeschlossen. Und das, obwohl sich die Zahl der Angriff auf Asylunterkünfte im Jahr 2015 auf 500 verdoppelt hat.
Die ARD zeigt den Film am Montag, 7. März, 22.45 Uhr.