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Archäologie Archäologie: Experten nahmen Königin Editha auseinander

Von günter kowa 12.12.2012, 18:41

Magdeburg/MZ. - "Lady Di des Mittelalters" hieß Königin Editha in der Presse, kaum dass vor vier Jahren ihre Gebeine aus der Gruft im Magdeburger Dom gehoben waren. Zumindest im Tod potenziert sich der Vergleich noch, denn die gerichtsmedizinischen Untersuchungen am Leichnam der "Königin der Herzen" waren ein Kinderspiel verglichen mit dem geballten Forschungseifer aller irgend relevanten Disziplinen an den sterblichen Resten der englischen Königstochter, Gemahlin Ottos des Großen und populären Quasi-Heiligen.

Ab Donnerstag liegt der Band mit den Ergebnissen der Untersuchungen am Inhalt der bleiernen Sargkiste vor. In erschöpfender Gründlichkeit ist nachzulesen, wie nach acht Monate langer Bergung, Sicherung und radiologischen Erfassung der brüchigen Kiste und des Knäuels darin Schritt für Schritt Tücher, Stofffetzen, Geröll, tote Insekten und nicht zuletzt die Knochen säuberlich ausgewickelt und unter Mikroskope gelegt wurden. Zu den Wegstationen der Herrscherin, die 16 Jahre regierte und 36 Jahre alt wurde, kamen so die Forschungslabore in Halle, Mainz, Mannheim, Stuttgart, Freiburg, Kiel, Rostock und Bristol dazu.

Von den 16 Aufsätzen in dem Band hat einer schon vorab beachtliches Echo gefunden, weil er mit dem "Mitteldeutschen Archäologiepreis" ausgezeichnet wurde. Wie berichtet, hat die Freiburger Biologin Edith Schmidt aus Käfer-Resten Erstaunliches über die Umstände der Bestattung und Umbettung Edithas zutage gefördert: Wanzen saugten am erkaltenden Leib, Talgkerzen und Fackeln lockten Insekten an, und über Beigaben kamen Schädlinge aus den Kornkammern dazu (die MZ berichtete). Aber auch aasfressende Fliegen "besiedelten" den Leichnam, wie es in einem Beitrag heißt. Eine Botanikerin wiederum identifizierte Hafer, womöglich von einem Strohkissen, und einen Zweig vom übel riechenden Sadebaum ("Stinkwacholder"), der als Heilpflanze galt und Übel abwehrte.

Sodann gibt es mannigfaltige Erkenntnisse zu den Stoffresten. Und wen wundert"s, die waren wahrlich königlich. Seide, gefärbt mit dem tiefroten Farbstoff getrockneter Kermes-Läuse (von mediterranen Eichen), Samitgewebe (oder "geritzte Seide") aus der ersten Bestattung und kostbarer noch, mit Vogelmustern, aus der Umbettung, "auf aufwändigen Webstühlen hergestellt, die zu dieser Zeit lediglich etwa in Byzanz … zur Verfügung standen". Allein 46 Seiten widmen sich noch einmal der genauen Beweisführung zu den Indizien für die englische Herkunft der Königin. Ergebnisse von anthropologischen Untersuchungen an den Knochen - den wenigen, die Reliquienjäger übrig ließen - galten schon vor Jahren als Sensation: So verweisen die Strontium- und Sauerstoffisotope in den Zähnen auf die Wässer Südenglands.

Dankenswerterweise erhellen zwei Beiträge historische und kunsthistorische Zusammenhänge. So diskutiert der Frankfurter Historiker Caspar Ehlers die dynastischen und "geopolitischen" Hintergründe für Ottos Brautwerbung am Hof von Wessex. Anke Neugebauer und Heiko Brandl, die am Dominventar mitwirkten, werfen einen eingehenden Blick auf den steinernen, bewusst altertümlichen Prunksarkophag, den Erzbischof Ernst von Sachsen 1510 in die Achse seines neuen Westchors und damit seines eigenen Grabmals stellte, um sich im Glanz einer wundertätigen Königin zu sonnen.

Für die mittlerweile neu ausgebrochene Heiligenverehrung Edithas kommt dieses Werk also gerade recht. Allerdings werden nur die hartgesottensten Verehrer das ganze Fachchinesisch verdauen wollen, das sich doch offensichtlich an ein Publikum wendet, das Quellenverweise im Text goutiert, chemischen Analysen folgen mag und denen Begriffe wie "exponentielles Massenfraktionierungsgesetz" geläufig sind. Die Laien unter den Editha-Pilgern warten auf eine lesbare Zusammenfassung.