Applaus für Katja Riemann als «Anna Karenina»
Berlin/dpa. - Katja Riemann st als «Anna Karenina» am Berliner Theater am Kurfürstendamm gefeiert worden. Sehr frei nach dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi spielt die Schauspielerin die wohl berühmteste Ehebrecherin der Weltliteratur.
Den Roman-Persönlichkeiten ist in der Inszenierung von Anima Gusner allerdings kaum mehr als ihr Name geblieben. Die Regisseurin lässt Riemann nicht die verzweifelt, leidenschaftlich liebende und vor allem leidende Anna spielen, wie sie das Tolstoi-Werk beschreibt. In dieser modernen Version ist die Titelheldin eine entfesselte, nach sexueller Befreiung schreiende Frau. Aus der Liebesgeschichte wird eine Sexgeschichte - verwoben mit dem Streben nach Emanzipation und enorm großen Schuldgefühlen. Anna ist kein zurückhaltender, feinnerviger Mensch mehr, sondern ein mitten aus dem rauen Leben gegriffener Charakter.
Ein Stuhl ist die einzige Requisite auf der Bühne, die Johannes Zacher als offenen Ort der Möglichkeiten konstruiert hat. Verschiebbare Flächen aus klarem und mattem Glas geben den Bewegungen der Figuren korrespondierend zur Gefühlslage mal eine Form, mal nur einen vagen Umriss. Glücklos verheiratet, verfällt Anna dem von Sébastien Jacobi etwas farblos gespielten Wronskij.
Anders als in der Vorlage ist Wronskij hier kein Offizier, sondern ein Schauspieler, der schon in «James Bond» zu sehen war und jetzt mit Gérard Depardieu dreht. Warum sich Anna ausgerechnet in diesen Mann verliebt, bleibt unklar. Riemann lebt die Obsession trotzdem mit beachtlicher Energie aus: Sie singt und tanzt, sie tobt und wütet, sie lässt ihre Anna nach seelischer wie körperlicher Berührung regelrecht gieren. Die Zuschauer zollten dieser Leistung bei der Premiere mit viel Applaus Respekt.
Peter René Lüdicke spielt Annas Ehemann Alexej Karenin, der in dieser Neuinterpretation ein Politiker mit am Ende aufrichtigen Gefühlen ist. Heinrich Schafmeister ist Annas Bruder Oblonskij, der ebenfalls fremd gegangen ist und nun größte Probleme mit seiner Frau Dolly (Birgit Schneider) hat. Zu den stärksten, das Publikum herausfordernden Szenen gehört die vergebliche Liebesmüh der von Anika Mauer hervorragend interpretierten Kitty. Wie in einer Endlosschleife gleiten ihr liebeshungriger Körper und ihre Sehnsucht unzählige Male von dem gleichgültigen Schriftsteller Lewin (Jörg Pintsch) ab. Viel zu oft aber lässt Gusner ihre Figuren zu bloßen Karikaturen ihrer großen Tolstoi-Vorbilder werden. Bewusst oder unbewusst platzen dann in ernste, wahrhaft tragische Momente die profansten Äußerungen und Gelüste hinein.
Nach einer Tournee durch verschiedene kleinere deutsche Städte ist «Anna Karenina» nun erstmals auf einer großen Bühne zu sehen. Mit Regisseurin Gusner arbeitete Riemann bereits bei dem Stück «Szenen einer Ehe» nach Ingmar Bergman zusammen. Nächstes gemeinsames Projekt ist Tschechows «Drei Schwestern». Mit Riemann, Jasmin Tabatabai und Nicolette Krebitz in den Hauptrollen hat die Neuinszenierung am 1. Juni am Theater am Kurfürstendamm Premiere.