Applaus für Horwitz als Charlotte von Mahlsdorf
Berlin/dpa. - Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Berfelde war lange Zeit nur eine Berliner Lokalgröße, in DDR-Zeiten ein Insidertipp in der Ost-Berliner Schwulenszene (unter den Augen der Stasi).
Nach dem Fall der Mauer avancierte Charlotte mit ihrem skurrilen Outfit mit Kittelschürze und Staubwedel in ihrem Gründerzeit-Museum in Berlin-Mahlsdorf zu Berlins bekanntestem Transvestiten. Manche sprechen vom «exzentrischsten Wesen, das der Kalte Krieg hervorgebracht hat».
Nach ihrem Tod 2002 hat «Lottchen» es ähnlich wie die literarische Sally Bowles in «Cabaret» (in Berlins Schwulenkiez am Nollendorfplatz im Berliner Westen) zu Broadway-Ruhm gebracht. Über diesen Umweg ist das Stück mit dem englischsprachigen Originaltitel «I am my own wife» (Ich bin meine eigene Frau) von Doug Wright jetzt nach Berlin «heimgekehrt».
Das Publikum feierte die deutschsprachige Erstaufführung im Renaissance-Theater mit viel Beifall und auch mit Bravorufen. Hier schlägt sich der Schauspieler und leidenschaftliche Jacques Brel-Interpret Dominique Horwitz achtbar mit einer bravourösen Solo-Performance (mit der Andeutung 30 weiterer Rollen, natürlich auch in Seidenstrümpfen) über zwei Stunden durch ein wechselvolles Leben eines Transvestiten von der Nazizeit über die DDR bis nach dem Mauerfall in den 90er Jahren.
Der dramaturgische Spannungsbogen lässt nach der Pause aber etwas nach. Regisseur Torsten Fischer gelingt es nicht ganz, den Broadway-Erfolg in gleichem Maße auch nach Berlin, dem «Tatort» des Geschehens, zu übertragen. Das mag auch daran liegen, dass das am Broadway und andernorts möglicherweise entscheidende «exotische Moment» der Homosexualität in Berlin weit weniger «skandalös» ist. Auch bleibt Horwitz nach einem virtuosen Auftakt später doch manche Facetten der schrillen Figur schuldig, da hätte ein Regisseur mehr eingreifen oder helfen müssen.
Das Stück trägt jetzt den deutschen Titel «Ich mach ja doch, was ich will», weil der Autor Peter Süß, Herausgeber der Mahlsdorf- Memoiren («Ich bin meine eigene Frau»/dtv) und ebenfalls Verfasser eines in Leipzig herausgekommenen Mahlsdorf-Bühnenstückes Urheberrechte geltend gemacht hat.
«Das letzte Kleid hat keine Taschen» resümiert «Lottchen» in ihren Memoiren am Ende. Der schwule US-Autor Wright, dessen Stück in Amerika den Pulitzer-Preis und einen Tony Award gewann, nimmt das beim Wort. Er versucht, das schräge und schrille Leben mit Hilfe seiner eigenen Interviews und Briefen, Filmmaterial oder Dokumenten, darunter auch Stasi-Akten über eine Mitarbeit des Transvestiten für die Staatssicherheit, in all seinen Widersprüchen offenzulegen.
Vieles konnte sich Wright, der inzwischen mit einem Stück über die Tante und Cousine von Jacqueline Kennedy-Onassis («Grey Gardens») erfolgreich ist, anfangs gar nicht richtig vorstellen. «Ich bin als Schwuler in einer bigotten Gegend in den USA aufgewachsen, ich kann mir nur ungefähr vorstellen, wie es während des Dritten Reiches war. Die Nazis und dann die Kommunisten.» So heißt es in dem Stück denn auch: «Für mich sind Sie eine Unmöglichkeit. Sie sollten gar nicht existieren.»
Der naive und gutgläubige, aber doch auch zielstrebige und schrullige Mann in Frauenkleidern ist schließlich nicht mehr durchschaubar, was ist wahr und was geflunkert in seinen Lebensberichten? Was war wirklich mit der Stasi-Mitarbeit und den Verratsvorwürfen? Immerhin hat Mahlsdorf nach der Wende ein Bundesverdienstkreuz erhalten. Wright erspart seiner «Heldin» diese Fragen nicht.
Die letzten Worte der Mann-Frau mit dem sonnigen Gemüt darin sind: «Ich habe keine Probleme. Probleme haben immer die anderen.» Im Parkett am Premierenabend saßen auch der Regierende Bürgermeister und bekennende Homosexuelle Klaus Wowereit (SPD) und der schwule Filmregisseur Rosa von Praunheim, der einen Dokumentarfilm über Mahlsdorf («Ich bin meine eigene Frau») gedreht hat. Wowereit steht hier am 8. Oktober auf der Bühne und erzählt aus seinem Leben («Und das ist auch gut so»).