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Anna-Seghers Anna-Seghers: Alles für die «große Sache»

Von Irma Weinreich 15.04.2003, 20:18
Die Schriftstellerin Anna Seghers an ihrem 80. Geburtstag am 19.11.1980 in Berlin. (Foto: dpa)
Die Schriftstellerin Anna Seghers an ihrem 80. Geburtstag am 19.11.1980 in Berlin. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Ihrer Biografie hat sich Anna Seghers (1900-1983) zu Lebzeiten konsequent verweigert. «Erlebnisse und Anschauungen eines Schriftstellers werden am allerklarsten aus seinem Werk», verteidigte sie sich. 20 Jahre nach ihrem Tod liegt jetzt der erste umfassende Bericht über Leben und Werk einer der bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts in zwei Bänden vor.

Mit ihrem mitten im Zweiten Weltkrieg im Exil zuerst in englischer Sprache veröffentlichten Roman «Das siebte Kreuz» gelangte Seghers 1942 schlagartig zu Weltruhm. Ihre Bewertung im Nachkriegsdeutschland war dagegen widersprüchlich. Im Osten als Mitbegründerin der «DDR- Nationalliteratur» gefeiert, fand sie im Westen zunächst weniger Beachtung.

Band 1 der Biografie (1900-1947) hatte die in den USA lehrende Literaturwissenschaftlerin Christiane Zehl Romero bereits zum 100. Seghers-Geburtstag veröffentlicht. Nach Kindheit, Jugend und der Zeit im Exil widmet sich Band 2 («Anna Seghers - Eine Biografie 1947- 1983») nun den Jahren in Ost-Berlin, selbst erwählter Wohnort nach der Rückkehr aus der Emigration in Mexiko. Wer bisher annahm, Seghers müsse in der neuen Heimat DDR ihr erträumtes Glück von einer besseren Welt gefunden haben, erfährt von Einsamkeit, Selbstzweifeln, Enttäuschungen und häufiger Krankheit, die mitunter wie Flucht anmutet.

«Mithandelnd, mitirrend, mitleidend», heißt es in einem Vorwort über Seghers. Ihr randvolles, aufopferungsvolles Leben steht für das Schicksal manches überzeugten Kommunisten. Vor allem Briefe waren es, in denen Seghers, Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes (1952- 1978), wie ein Seismograph Gefühle registrierte, über die sie der «großen Sache des Sozialismus» wegen öffentlich niemals gesprochen hätte, vielleicht schweigen musste. Die Meisterin «brieflicher Andeutungen» redet von Ängsten, in der Funktionärsgesellschaft zu «vereisen» und «keine richtigen Wurzeln» mehr zu haben. Scheitern deutete sich auch beim Schreiben an. Die Mehrzahl der Romane, Erzählungen und Essays entstanden in der DDR. Aber nur zwei Mal - in «Die Entscheidung» (1959) und «Das Vertrauen» (1968) - ist die Entwicklung des sozialistischen Staates literarischer Gegenstand.

Für die in einer jüdischen Familie geborene Seghers, die ihr Leben mit dem «Aus- und Aufbruch begonnen hatte, um das 'ganz und gar Neue' zu suchen», seien die Spielräume besonders in der zweiten Hälfte des Lebens immer enger geworden, so die Biografin. Ihre Rufe nach «Mäßigung gegenüber Eiferern» in der SED beispielsweise bei der Biermann-Ausbürgerung wurden «von oben» einfach ignoriert. Selbst Seghers wurde bespitzelt.

Für die im Berliner Aufbau-Verlag erschienene Biografie (560 Seiten, 30 Euro, ISBN 3-351-03497-0) standen neben Manuskripten, Briefen und Dokumenten viele bisher geschlossene Materialien, darunter die Stasiakten, zur Verfügung. Ausführlich wird im Kapitel «Prozesse, Prozesse» auf den nach der Wende gegen Seghers massiv erhobenen Vorwurf, den ehemaligen Aufbau-Verlagsleiter Walter Janka in den 50er Jahren aus «Feigheit verraten» zu haben, eingegangen. Janka war damals als «Staatsfeind» zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt worden.