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Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: Nora verlässt Familie Mustermann

Von andreas montag 20.10.2013, 18:44
Nora (Natalie Hünig) verlässt ihren Mann (Gerald Fiedler).
Nora (Natalie Hünig) verlässt ihren Mann (Gerald Fiedler). claudia heysel Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Dieses Stück ist seinerzeit wie ein Schuss in die verlogene, stickige Welt des Bürgertums geknallt, zur Uraufführung wie bei der deutschen Erstaufführung musste das Ende amputiert und schön geschwindelt werden. Nora durfte ihren Mann Torvald nicht verlassen, sondern blieb: der Kinder wegen.

Das war Ende des 19. Jahrhunderts, inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Wohl gibt es immer noch Mief in manchen Stuben, aber dass eine Frau notfalls nicht nur den ungeliebten Mann, sondern auch ihre Kinder verlässt, stellt immerhin kein Politikum mehr dar. Was also könnte der Anlass sein, des Norwegers Henrik Ibsens Drama „Nora oder Ein Puppenheim“ heute auf den Spielplan zu setzen, wie jetzt am Anhaltischen Theater in Dessau-Roßlau geschehen und zur Premiere am Freitag mit viel Beifall bedacht? Die Kälte der Beziehungen wäre das Thema, die traurige Chance, aneinander vorbei zu leben und sich selbst dabei zu verlieren.

Das haben der Dessauer Generalintendant André Bücker und seine Mannschaft in ihrer Inszenierung auch versucht, gelungen ist es nicht wirklich - ausgenommen das Bühnenbild von Bernd Schneider, das kalte, abweisende Wände und einen bedrückenden, riesigen Himmelskörper zeigt, unter dem sich Allerweltsmöbel wie bei der Familie Mustermann unserer Tage verlieren. Der Skandal aber, das, wovor Nora Helmer sich so fürchtet, die Entdeckung der Lüge - es tritt lange, zu lange hinter Alltäglichkeiten zurück, denen es indes an der Prägnanz fehlt, um die Tragödie zu beglaubigen. Erst im letzten Akt nimmt das Drama Fahrt auf, die Inszenierung muss nun rückwirkend Erklärung schaffen.

Bis zur Pause haben wir Nora (Natalie Hünig) als nette, verspielte, leicht neurotisch wirkende Frau eines deutlich älteren, etwas infantilen und notgeilen Mannes (Gerald Fiedler) erlebt. Das alles wird in modern gelifteter Sprache verhandelt, doch die eigentliche Fallhöhe wird dabei nicht erreicht. Ibsens Nora hat Gutes gewollt und ihren Mann gerettet mit einer Tat, die er sich selbst nicht zugestanden hätte, geschweige denn einer Frau.

Sie hat Geld geborgt, um ihm eine Kur zu ermöglichen. Und nur, weil das persönlich wie gesellschaftlich so unmöglich ist, hat der haltlose Krogstad (Dirk S. Greis) die Chance, als Erpresser aufzutreten. Das Problem der heutigen Nora aber wäre wohl weniger das Gefangensein in einer Ehe, sondern vielmehr die Deformation der Partner unter den Zwängen der Freiheit, die eigentlich Gleichgültigkeit heißt. In dieser großen, verabredeten Lüge hat keine weitere Lüge Platz. Darüber hätte „Nora“ durchaus Auskunft geben können.

Nächste Aufführung am Samstag um 19.30 Uhr, Großes Haus