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Anhaltisches Theater Anhaltisches Theater: «Feuer, bevor es Nacht wird!»

Von UTE VAN DER SANDEN 26.10.2008, 18:27

DESSAU/MZ. - In Dessau schon. Kein Buh spaltete den Premierenapplaus, nachdem Johannes Felsensteins "Fidelio"-Inszenierung über die Bühne des Anhaltischen Theaters gegangen war. Was nachvollziehbar ist. Zwar tritt vor der Ouvertüre "Der gute Mensch von Sezuan" hinter den Stacheldraht, der das Parkett grundsätzlich vom Bühnengeschehen distanziert. "Oh, ihr Unglücklichen!", schreit Brechts Shen Te die Zuschauer an, nimmt sie in Haftung für das Unrecht, wie es in Beethovens einziger Oper erzählt wird, wie es die vielen Fotos von Widerständigen symbolisieren, die fremd von der Gefängniswand starren (Ausstattung Stefan Rieckhoff). "Und wo kein Aufruhr ist, da ist es besser, dass die Stadt untergeht", folgerte Brecht. Die Regie schließt daraus die härteste aller denkbaren Antworten auf die Frage, was "Fidelio" dem 21. Jahrhundert bedeute. Zunächst aber lässt Felsenstein eine Befreiungoper spielen, die man gern anschaut und, vor allem: gern anhört. Was Beethoven ersann, wird als unspektakuläres, solide gemachtes Binnenstück gezeigt, das so gar nicht in seinen Rahmen zu passen scheint. Im Vortrag tönte das Bekenntnis zur Musik, zu ihrer Kraft und Schönheit,

tönte auch das Bemühen, sie so kunstgerecht wie möglich aufzuführen. Was das Dessauer Ensemble zum Klingen brachte, bejahte die Vision, für die "Fidelio" steht: die Überwindung des Unrechts. Freiheit durch Zivilcourage. Letztlich die Liebe.

Unter Leitung von Golo Berg gewann der Abend zunehmend Aktivität, Spannung und Entschlossenheit, wandelte sich das beschwingte Singspiel zum ausladenden Oratorium. Mit sicherer Hand hielt er Solisten, Chor und sein waches Orchester beieinander, ihr optimistischer Impuls lag der achtbaren Ensembleleistung zugrunde. Die Herren des Opernchores sangen einen verhuschten, sprachlich starken Gefangenenchor, der die Pein gebrochener Seelen reflektierte. Von ähnlicher Eindringlichkeit war das Solistenquartett im ersten Akt, als Marzelline, Leonore, Rocco und Jaquino (Udo Scheuerpflug) ihre wahren Motive erkennen lassen.

Das musikalische und darstellerische Gelingen der Aufführung hat großenteils die Titelfigur entschieden: Iordanka Derilova sang als Leonore in Fidelio-Maskerade ihren dramatischen Sopran kraftvoll aus, gewann ihm aber auch lyrische Nuancen ab. Wie ihr der Mut aus der Verzweiflung ob des in der Todeszelle darbenden Geliebten zuwächst, ist absolut glaubwürdig. Annika Sophie Ritlewski ließ im leichten Opera-buffa-Ton ihrer Marzelline die Zuneigung für Fidelio erglühen. Hans Arthur Falkenrath mimte den Kerkermeister Rocco als geldgierigen Trottel. Seine Sprechstimme markierte den fundamentalen Bass eher noch als sein Gesang. Nico Wouterse war als formidabler Pizarro zu erleben, Kostadin Arguirov als Minister im Dandy-Look. Oft wird nach hinten gesprochen und gesungen. Leonore schickte den Beginn ihrer Hoffnungsarie in den Schnürboden, Vincent Wolfsteiner als veritabler, wiewohl eher unheldischer Florestan bewältigte den Beginn seiner Partie üblicherweise im Liegen. Die Solisten nahmen solche Hürden ebenso souverän, wie Golo Berg das Jubelfinale mit Extra- und Kinderchor zusammenhielt, obwohl die Menge frenetisch ihre Heroen umkreiste.

Im Moment, da das Volk in den befreiten Kerker stürmt, schnappt das Finale über, türmt es ekstatische Attribute zu haltlosem Kitsch. Die Dreiklangsmelodik der französischen Revolution befeuert Lichter und Fackeln, die Riesenplastik eines verzweifelnden Engels hebt sich zum Thron. Obenauf schmettern Leonore und Florestan ihren letzten Hymnus.

Ihren allerletzten. Zu früh gefreut: Kaum ist der selige C-Dur-Schluss verhallt, wird die Apotheose abgeknallt. Es werden tatsächlich alle erschossen! Von der Kanzel fallen Blumen auf das Massengrab, der erste Beifall erstirbt. Das hat Beethoven nicht gewollt.

Weitere Vorstellungen: 1. und 9. November, jeweils 17 Uhr