1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Anhaltisches Theater Dessau: Anhaltisches Theater Dessau: Eine Bühne der Bürger

Anhaltisches Theater Dessau Anhaltisches Theater Dessau: Eine Bühne der Bürger

Von christian eger 25.01.2014, 09:09
„Eine der klassischen Bühnen Deutschlands“: das Dessauer Theater 1860. Fünf Jahre zuvor hatte das Haus das erste Mal gebrannt, ein zweites Mal 1922. Der Neubau des heutigen Anhaltischen Theaters öffnete 1938.
„Eine der klassischen Bühnen Deutschlands“: das Dessauer Theater 1860. Fünf Jahre zuvor hatte das Haus das erste Mal gebrannt, ein zweites Mal 1922. Der Neubau des heutigen Anhaltischen Theaters öffnete 1938. pozzi/abbildung Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Im vergangenen Jahr beschloss der Deutsche Bühnenverein, die über Jahrhunderte gewachsene Theater- und Orchesterlandschaft Deutschlands als immaterielles Weltkulturerbe verzeichnen zu lassen. Ein Vorhaben, das im Blick auf das Anhaltische Theater, das 2016 sein Schauspiel und Ballett verlieren soll, ehrenwert sein mag, aber überflüssig ist.

Denn die Dessauer Bühne ist längst Teil eines Weltkultererbes, nur wird es als solches nicht wahrgenommen. Das liegt nicht am Theater, das nicht müde wird, einfallsreich seine kulturhistorische Umgebung zu bespielen - zuletzt im Sommer 2013 mit einer Aufführung von Goethes Antikendrama „Iphigenie auf Tauris“ im Amphitheater auf der Felseninsel „Stein“ in den Wörlitzer Anlagen. Tatsächlich ist das Dessauer Theater samt Orchester die einzige heute noch tätige Kultur-Institution, die eine wirkliche Gründung des Dessauer Fürsten Leopold III. Friedrich Franz (1740-1817) ist. Mithin ist es die letzte lebendige Verbindung, die aus der Gegenwart in die gern vermarktete Vergangenheit des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches führt, das seit dem Jahr 2000 zum Weltkulturerbe zählt.

Wie keine zweite Institution in der Stadt ist dieses feste Ensemble mit der Dessauer Bürgerschaft und dem um 1800 wirkenden Hofstaat verbunden -  und das genau in dieser Reihenfolge. Auch wenn 1798 das erste, von Erdmannsdorff errichtete (und 1922 niedergebrannte) Theaterhaus an der Kavalierstraße als ein „Hof“- und nicht - was die „demokratische“ Variante gewesen wäre - als „National“-Theater eröffnet wurde, verdankt sich die Einrichtung des Hauses vor allem dem Einsatz der Bürger.

Einzug der Truppe im Juli 1794

Im Gegensatz zur steten, wenn auch nicht üppigen Förderung des musikalischen Lebens, zeigte Franz in den ersten Jahrzehnten seiner Herrschaft an einer staatlichen Bühne kein Interesse. Ihm genügten die Gastspiele fahrender Truppen (wie sie also von 2016 an wieder nach Dessau rollen sollen) und Dilettanten-Aktionen im kleinen Kreis. Goethe blieb die Gleichgültigkeit nicht verborgen. Die Schauspielkunst, sagte Franz, „ließ ich noch links liegen.“ Denn: „Ich hatte mehr und anderes zu tun.“

Noch als die vor den Franzosen nach Osten geflohene Schauspielgesellschaft des Friedrich Wilhelm Bossann 1793 erstmals um eine Auftrittserlaubnis in Dessau bat, ging der Fürst auf Distanz. Er teilte mit, dass die Dessauer „nicht sehr schauspiellustig“ seien, und dass es an einem geeigneten Spielort in der Residenz fehle. Auch einem zweiten Vorstoß der Schauspieler im Sommer 1794 begegnete der Herrscher kühl. Diese „Jahreszeit“ lade „doch mehr zu Spaziergängen als zur Besuchung des Theaters“ ein. Erst mit der leibhaftigen Ankunft der Schauspielertruppe um Bossann änderte sich die Denkart des Fürsten.

Der Einzug der Truppe im Juli 1794 war ein Ereignis: „zwei große Leiterwagen mit Quersitzen; auf dem Vordersitz des Wagens Nr. 1 paradierte unser Musikantengeneral, ein dicker Mann mit einem Rheinwein- und Vollmondgesicht, struppigem Negerhaar und ganz von der Sonne verbranntem Teint.“ Mit monatlichen Zuschüssen aus der fürstlichen Kasse beginnt die Truppe am 31. Juli 1794 ihre erste Saison in der Reitbahn genannten Reithalle am Schloss. Im November 1795 erhalten die Bossans den Dessauer Hofschauspieler-Titel. Und schon 1796 kursieren die Gerüchte, dass der Fürst den Bau eines Hoftheaters plane. Warum? Es ging ihm nicht allein um die Kunst, sondern auch darum, „den vielen Fremden ein edles Vergnügen (zu) verschaffen und sie an die Stadt (zu) fesseln, welcher sie einigen Glanz verschafften und Nahrung brachten.“

Theateraufführungen im Schloss

Theateraufführungen im Schloss waren seit 1614 nachweisbar; eine kleine Bühne - das „Neue Theater“ - wurde dort 1777 installiert. Es war aber das 1775 gegründete bürgerliche Gesellschaftstheater, das entschieden vorantrieb, was man die „Dessauer Theaterkultur“ nennen darf: das andernorts nicht selbstverständliche Ineinander von Hof und Bürgerschaft. Denn auch die Aufführungen im Schloss kammen im winzigen Dessau nicht ohne bürgerliche Leih-Darsteller aus

So wird am 26. Dezember 1798 das große Schauspielhaus eröffnet: 1 000 Sitz- und 200 Stehplätze, gefeiert als eine „der klassischen Bühnen Deutschlands“. Das Bürgertum fand seine Themen im Schauspiel, der Hof sein Vergnügen in der Oper. Aus Wittenberg, Leipzig, Magdeburg kamen die Zuschauer - und aus Halle, das auf Betreiben der Pietisten von 1771 bis 1806 kein Theaterspiel bot.

Eine Erfolgsgeschichte, zu der freilich auch gehört, dass sie 1810 endete: Dem nunmehrigen Herzog Franz ging das Geld aus. „Ich muß mein Hoftheater schließen“, das „muß“ unterstrichen, klagte Franz. Napoleon zog zu hohe Summen aus dem Zwergstaat. Immerhin: 1841 kehrte das feste Sprech- und Musiktheater-Ensemble zurück, 1851 kam das Ballett hinzu.

Als 1810 auf unabsehbare Zeit der Vorhang niederging, war die Trauer allgemein. „Die Teilnahme war so groß“, notierte die Presse, „wie dies nur an einem so kleinen Orte und bey einer stehenden, von Jedermann in all ihren Mitgliedern (...) ganz bürgerlich eingerichteten Gesellschaft möglich ist.“