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Anhaltisches Theater Dessau Anhaltisches Theater Dessau: Ein bisschen Spaß muss sein

Von joachim lange 28.09.2015, 12:19
Von links: André Eckert (Procolo, der Ehemann), Silvio Wiesner (Pipetto, Countertenor), Adam Fenger (Biscroma Strapaviscere, Maestro), Angelina Ruzzafante (Daria, Primadonna) und die Herren des Opernchores
Von links: André Eckert (Procolo, der Ehemann), Silvio Wiesner (Pipetto, Countertenor), Adam Fenger (Biscroma Strapaviscere, Maestro), Angelina Ruzzafante (Daria, Primadonna) und die Herren des Opernchores CLAUDIA HEYSEL Lizenz

dessau-rosslau - „Da muss Mutti ran!“ Das denken heutzutage viele. Meinen dann aber nicht die eigene Mutter, sondern die, die man täglich im Fernsehen sieht, von wo aus sie uns dann zuruft: Wir schaffen das!

Dass „Mutti ran muss“, hat es sogar in den Titel der Eröffnungspremiere am Anhaltischen Theater geschafft. Damit beginnt in Dessau die erste Spielzeit des neuen Intendanten Johannes Weigand. Vorgänger André Bücker hatte sich mit seiner kämpferischen Haltung gegen die rabiate Magdeburger Sparpolitik nicht nur Freunde gemacht und war bekanntlich trotz aller künstlerischen Erfolge aus dem Amt komplementiert worden.

Da wundert es nicht, dass im neuen Spielzeitprogramm der Wagemut zu fehlen scheint. In der Oper gibt es mit Verdis Troubadour lediglich eine „richtige“ und dann auch noch todsichere Oper, zum Weill-Fest zwei Einakter, dazu ein Musical und etwas Konzertantes. Wenn dann der Auftakt „nur“ ein flotter Donizetti ist, beginnen die „guten“ alten Zeiten jetzt schon, alles zu überstrahlen…

Ein Komödienfeuerwerk

Da überrascht es um so mehr, wenn es ausgerechnet mit einer wirklich Komischen Oper gelingt, sich sozusagen selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. In einer bunten Operntruppe ist jeder damit beschäftigt, seinen eigenen Auftritt an der Rampe zu proben und sich damit ins rechte Licht zu setzen. Wenn plötzlich Agata, die Mutter der Seconda Donna, auftaucht und den ganzen Laden aufmischt, wird das zum Treibsatz für ein Komödienfeuerwerk. Sie versucht mit allen Mitteln, ihre Tochter zur Primadonna zu machen. Das zündet vor allem aber, weil da ein Mann in Frauenkleidern seinem Affen Zucker geben kann.

In Dessau ist das der auch von der puren Körpergröße her alle überragende Ulf Paulsen. Er ist per se stimmlich und darstellerisch der Mittelpunkt. Seine hingestöckelten, rausgedonnerten, gebrummten, ja sogar gejodelten Auftritte (u. a. bei einer bejubelten Rossini-Parodie) lohnen allein schon den Abend. Wenn da nicht die ganze Truppe zur Hochform auflaufen und das Updating in die deutsche, respektive Dessauer Gegenwart so fabelhaft funktionieren würde. Update gehört nämlich zum Sprachgebrauch des smart schnöseligen Olaf Haye, dem Intendanten im Stück. Der gibt zu Beginn dem Provinzkanal namens MRD (wirklich in der Kombination, ein bissl Verfremdung muss schon sein, so wie die angebissene Birne auf dem Laptop des Dramaturgen) ein Interview. Zu seinen hochfliegenden Plänen für einen Restart des Theaters mit weniger Geld und ohne festes Ensemble, dafür mit Billigausstattungen aus China und Kostümen aus Sri Lanka, einem dazu gebuchtem Laienchor (den der Dessauer Profi-Chor mit Lust nachspielt!) und ein bis zwei Technikern. Die Chinesen schicken dann zwar einen Kaiserpalast, aber eben nicht den bestellten „lömischen“, sondern ihren eigenen… Aber wer merkt das schon noch.

Auch wenn dieser Neuintendant hier die kulturelle Schwindsucht mit einer halbgewalkten Melange aus neoliberalen Phrasen und Dramaturgen-Esoterik in Business-Denglisch verkauft, weiß natürlich jeder, woher es kommt. Die Wiedererkennbarkeit wallt nur so von der Bühne - und zwar nicht erst, wenn Namen aufblitzen, die mit Hase… beginnen und …erlo aufhören.

Man wundert sich nicht, dass sich dieses Stück schon seit 1827 auf den Bühnen hält. Denn der Protagonist des Belcanto, Gaetano Donizetti (1797-1848), hat eben nicht nur eine gekonnte Selbstparodie der Macken und Klischees der Oper aus dem Ärmel geschüttelt, über die man sich auch heute noch köstlich amüsieren kann. Da darf sich die wunderbare Angelina Ruzzafante auf eine bewegungsgebremste Divenzicke runter dimmen, die am liebsten ihren aufgeblasenen Ehemann (André Eckert) für sich sprechen lässt.

Befreiendes Lachen

Da kann Cornelia Marschall als Seconda brav auf Mutti hören und mit dem hüftschwingenden, deutsch radebrechenden Tenor Willibald (Alexander Nikolic) flirten, bis der genauso beleidigt abreist, wie sein affiger (aber wohlklingender) Counter-Kollege Pippetto (Silvio Wiesner).

Da können Adam Fenger als dirigierender Komponist und Pawel Tomczak als dichtender Dramaturg, die Katja Schröpfer als Doppelgänger kostümiert hat, ihre Scharmützel mit dem Impresario austragen, dass es eine Lust ist. Ebenso lustvoll spielen an diesem Abend auch die Musiker der Anhaltischen Philharmonie unter Daniel Carlberg auf.

Wenn man so souverän nach dem doppelten Boden sucht und mitten in der Gegenwart landet, wie es in Dessau dem Regisseur Holger Potocki und seinem Bühnenbildner Markus Pysall gelungen ist, dann blitzt im Lachen eben auch jener Ernst der Stunde auf, der noch auf dem Grund jeder Komödie schlummert. Und im gebeutelten Dessau als kulturelles Abbau- und Schrumpfungsmenetekel vorm geistigen Auge über dem Theaterportal aufscheint. Das hat genauso den Beigeschmack von Wahrheit, wie der Selbstbehauptungswille und der Einsatz der Künstler für ihr Publikum. Auch wenn das an das sprichwörtliche Pfeifen im dunklen Wald erinnert.

Man kann eine Spielzeit (und Intendanz) auch anders eröffnen. Schwergewichtiger. Programmatischer. Mehr mit Blick auf den überregionalen Hingucker. Aber was soll man nach dem Bauhaus-Ring schon bieten? Manchmal hilft das befreiende Lachen weiter als große Ergriffenheit. Darin war man sich bei dieser Premiere auf der Bühne und im Saal einig. Viel Beifall! (mz)

Nächste Aufführungen: 4. und 17. Oktober jeweils 17 Uhr