Andrea Camilleri auf Caravaggios Spuren
Rom/dpa. - Das Jubiläumsjahr eines genialen Meisters des italienischen Frühbarock beschert dem deutschsprachigen Kunstfreund einen ganz speziellen Leckerbissen: einen kunstvoll konstruierten Roman über Caravaggio, der am 18. Juli vor vier Jahrhunderten gestorben ist.
Nicht nur Liebhaber der Malerei sind angesprochen, denn der Sizilianer Andrea Camilleri, kritische Stimme Italiens und «Vater» des Krimi-Helden Commissario Montalbano, ist der Autor von «Die Farbe der Sonne».
2007 im Original («Il colore del sole») erschienen, ist der Roman von Camilleri (84) also auch etwas für alle Leser, die dem gewitzten Kriminalisten aus Porto Empedocle gern mal wieder auf anderen Spuren folgen wollen. Und er wäre nicht Camilleri, wenn aus dem Revolutionär der Kunst und Raufbold Caravaggio nicht ein spezieller «Fall» würde.
Auf geheimnisvoll verschlungenen Wegen - und natürlich auf Sizilien - nähert sich Camilleri den weitgehend im dunkeln liegenden letzten Jahren des Michelangelo Merisi, dann Caravaggio genannt nach seinem Geburtsort östlich von Mailand. Dieser für Jähzorn und Gewalt bekannte Maler, dessen wüstes Abenteuerleben im noch jungen Alter von 38 Jahren zu Ende ging, fordert den Kriminalisten nachgerade heraus.
Also ist es der Schriftsteller selbst, der beim Besuch auf seiner Insel gezwungen wird, sich diesem streitlustigen Genie zu nähern: Mit verbundenen Augen in einem Fahrzeug liegend wird Andrea Camilleri auf ein einsames Landgut gebracht, wo ein seltsamer Unbekannter ihn mit Originalmanuskripten Caravaggios aus den wilden letzten Jahren des großen Malers konfrontiert - wegen Mordes muss Caravaggio aus Rom fliehen, sitzt auf Malta im Kerker und taucht dann nach gelungener Flucht auf der Insel Sizilien auf.
Der Krimiautor enthüllt so raffiniert die Geheimnisse des besessenen Meisters der Helldunkelmalerei und des Seitenlichts: Was es mit der rätselhaften «schwarzen Sonne» auf sich hat, die der im Wahnsinn versinkende Caravaggio sieht, warum er denn überhaupt auf Malta einsitzen musste - und wie er sich aus der Festung St. Angelo abseilen konnte. Anderes als die Schwärze der Nacht kann Caravaggio nicht sehen, das Tageslicht ertragen seine kranken Augen nicht mehr.
«Ich habe angefangen, an der 'Enthauptung Johannes des Täufers' zu arbeiten, und das schwarze Licht der schwarzen Sonne verließ mich nimmer», zitiert Camilleri aus dem romanhaften Tagebuch des Mannes, der in seinen letzten Jahren die faszinierendsten dunklen Bilder malte. «Für mich gibt's keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.» Die schwarze Sonne ist auch der Tod, den Caravaggio nahen fühlt. Zwölf abgedruckte Caravaggio-Bilder im Buch legen das nahe.
In elendiger Lage ständig auf der Flucht, das Gespenst des päpstlichen Todesurteils wegen der Mordtat greifbar vor sich, rastlos von einem Versteck zum nächsten irrend malt Caravaggio noch seine ganz großen Bilder: «Ich sah nicht mehr, wie die Farben waren, doch konnt' ich erinnern, wie sie dereinst gewesen...». Dem Tod vermochte er kein Schnippchen zu schlagen.
Andrea Camilleri
Die Farbe der Sonne - Ein Caravaggio-Roman
Kindler im Rowohlt-Verlag Reinbek,
128 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978 3 463 40532 2