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Amateurfilm Amateurfilm: Das eigene Ding

Von MARLENE KÖHLER 28.01.2011, 18:06

Halle (Saale)/MZ. - In Helmut Pöschels Küche hat Friedrich Karl Steinbach sein Basecape gegen Egons Melone getauscht. Steinbach ist der Ex-Bürgermeister von Würchwitz bei Zeitz. Mit Zigarrenstummel im Mund studiert er seinen Text. Am Samstag muss eine Szene für den vierten Olsenbande-Streich made in Würchwitz in den Kasten. Dorfschmied Andreas Schaller alias Kjeld beschafft das Bier, das in der nächsten Szene eine Rolle spielen soll. Und Malermeister Steffen Gruner, der neue Benny, ist in gelbe Socken, zu kurze Hosen und ein kariertes Jackett geschlüpft, wie es sein Vorbild Morten Grunwald in 14 Filmen trug. Seit gut fünf Jahren beschäftigt die Bande den kleinen Ort im Burgenlandkreis, die Charaktere kommen den dänischen Originalen sehr nahe.

500 Filme in vierzig Jahren

Kameramann Thomas Linzner wird gleich den Startschuss geben, die modernste Digitaltechnik erfordert absolute Stille. Dann fragt Benny Egon nach seinem neuen Plan. "Of course boys", sagt der. Selbstverständlich habe er einen Plan, und das Beste, der sei "fast legal". Im Naumburger Dom will er mit Hilfe der Himmelsscheibe von Nebra den vergessenen Stifterschatz finden, der Ekkehard und die Uta hätten ihn hier einst vergraben. Doch Achtung! Auch der klamme Burgenlandkreis ist am Schatz interessiert. Das läuft auf einen Wettbewerb hinaus.

Damit hat Pöschel, 65, Erfahrung. Seit 40 Jahren dreht der pensionierte Lehrer Filme, an die 500 bisher. Schon als Schüler erlernt er im Betriebsfilmstudio des Hydrierwerks Zeitz das Filmhandwerk. Katastrophenschutz und Umzüge zum 1. Mai sind die Themen, aber immer zweigen die Arbeiter Material für heitere Kurzfilme ab. Das begeistert den Abiturienten so sehr, dass er sich bei der Defa bewirbt.

"Operativer Vorgang Film"

Aber die nehmen ihn nicht und er wird Biologielehrer, bildet sich parallel im Rahmen des "Künstlerischen Volksschaffens" bei Altmeistern der Filmkunst weiter. Das berechtigt ihn, 1970 das FDJ-Filmstudio Würchwitz zu gründen. "Der Name hat uns geschützt", sagt er, "man wird doch nicht die Kampfreserve der Partei angreifen".

Doch die Inhalte sind stachlig, zielen auf Umweltschutz und Abfall-Recycling, wollen die Welt verbessern. So geraten die Filmemacher in den Fokus der Staatsschützer, die Pöschel als "Operativen Vorgang Film" führen.

Der erste Streifen "Waldlauf", 1970 mit geborgter Kamera auf 16-Millimeter-Film gedreht, zeigt Kinder, die Müll aus dem Wald schleppen. Kinderwagen, Badewannen, Tapetenreste. Dafür gibt es beim Eulenspiegel-Wettbewerb in Karl-Marx-Stadt gleich einen Preis, 500 Mark, die umgehend in eine gebrauchte Admira-Schmalspurkamera investiert werden. Und was nehmen die Amateure damit nicht alles aufs Korn: Interviews im Stile der "Aktuellen Kamera", Disziplinlosigkeit an den Schulen, öde Bergbau-Folgelandschaften. Beim jährlichen Würchwitzer Kleefest im Juni haben sie Premiere, und vor allem die Satiren und erotischen Phantasien werden zu Straßenfegern. Die Leute im Saal entdecken sich auf der Leinwand. 400 Würchwitzer sind begeistert. Im Publikumsliebling "Zahn um Zahn" von 1986 gerät ein Notfallpatient an Zahnarzt Dr. Fummler, der gerade schwer mit seiner Assistentin beschäftigt ist, ein Schenkelklopfer.

"Jungbrunnen" von 1976 und "Der erneute Versuch der Menschwerdung" von 1983 sind Plädoyers für die Liebe und die Natur. In dem einen verbringt ein altes Forscherehepaar den Sommer an der Müritz, badet nackt im See. Die Zuschauer sind zunächst befremdet. Doch dann wird es ganz still im Saal. Der Umgang der beiden miteinander, mit den Pflanzen und Tieren berührt sie. In dem anderen geht der sich aus dem Meer aufrichtende Homo Sapiens, dargestellt vom Sänger Arnulf Wenning, angesichts der dunklen Rauchwolken von Deuben, Profen und Co. lieber ins Meer zurück. Die haben Mut, sagen die Würchwitzer von ihren Filmleuten.

Neuanfang nach der Wende

Sieben Mal nimmt das Studio am internationalen Festival Unica teil, gewinnt Preise in Baku, Wien und Helsinki, darf sie im kapitalistischen Ausland nicht selbst entgegen nehmen. Dort wird es gefeiert, hier kontrolliert. "Die" saßen immer schon im Saal, sagt der Studiochef. Sie drohen mal mit Fördermittelentzug oder schicken Leute vom Schulamt in seinen Unterricht. Trotzdem haben wir Sympathisanten gehabt, glaubt Pöschel, "andere wurden für weniger weggesperrt". Dann kommt die Wende. Den Amateurfilmen geht es wie den Ostprodukten - keiner will sie mehr haben. Etwa fünf Jahre dauert diese Situation an. Die FDJ im Namen haben sie abgelegt, arbeiten jetzt als Filmstudio Würchwitz mit westdeutschen Filmleuten zusammen. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Würchwitzer lernen neue Technik kennen, die Frankfurter neue Themen.

"Ab dem Jahr 2000 haben wir uns abgenabelt, auf unser eigenes Ding besonnen, mit dem man beim Publikum wieder landen kann." Zu den engsten Mitstreitern Helmut Pöschels gehören neben dem Sohn und der Partnerin schon lange Kameramann Thomas Linzner und Michael Richer, der bei Pöschel gelernt hat und jetzt sogar vom Filmen lebt. Im vergangenen Jahr dreht dieses Team "Mord in der Mühle", eine aufwendige Dokumentation über einen Kriminalfall von 1933. An diesem Wochenende gastiert das Studio damit bei den 6. Merseburger Defa-Filmtagen.

Die Olsenbande entwickelt sich

Nachgestellt wird die Geschichte einer unerfüllten Liebe, die für die 16-jährige Ilse und den Müllergesellen tödlich endet. Das halbe Dorf spielt mit, bis zu 70 Leute, zum Teil Nachfahren der Protagonisten von damals. Der Aufwand, mit dem Kostüme und Requisiten aus jener Zeit beschafft werden, die ausgeklügelte Kameraarbeit, der Wechsel von Farbe zu Sepia-Tönen in Rückblenden, die akribische Rekonstruktion der Ereignisse lässt beinahe an Profis denken. Auch die mitteldeutsche Olsenbande hat sich entwickelt. Aus den Amateuren, die anfangs nur "oh weh" stöhnen oder "mächtig gewaltig" jubeln, sind mit ihren Figuren verwachsene Darsteller geworden. Eigentlich sollte nach dem dritten Teil Schluss sein. Aber die Fans geben keine Ruhe, und das Team weiß es ja auch: In Egon, Benny und Kjeld können wir uns erkennen. Mit unseren Träumen und unserem Scheitern.

Und wie schon beim "Thesenraub" oder "Bernsteinzimmer" erwartet man auch im vierten Teil mit Spannung das Zusammentreffen von Politik und Wirklichkeit. Die Finanznot der Kommunen, der Leerstand ganzer Straßenzüge, der Weggang junger Leute, das alles beschäftigt das Filmteam, das just an diesem Drehtag auch noch von der Schließung des Zeitzer Kinocenters zum 30. September erfährt. Aber traurige Filme sind nicht Pöschels Ding.