Alten Theater Dessau Alten Theater Dessau: Ein Stück, das starke Nerven braucht
DESSAU/MZ. - Mit "The Turn of The Screw" verabschiedete sich Harry Kupfer als Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. In Dessau kommt Jana Eimer, langjährige Regieassistentin Johannes Felsensteins, mit dem auf einer Novelle von Henry James fußenden Zweiakter groß heraus: Der Psychothriller von Benjamin Britten ist nicht nur ihre erste Regiearbeit, sondern auch das erste musikalische Stück für das Alte Theater.
Begeisterter Beifall
Sie hat es selbst ausgesucht und verwendet (nachdem es vor zwei Jahren in einer schaurig-schönen englischsprachigen Einstudierung an der Musikalischen Komödie Leipzig lief) die deutsche Übertragung. Welch Begeisterung für eines der absonderlichsten Exemplare der Opernliteratur, welch Beifall für sechs Hauptdarsteller, dreizehn Instrumentalisten und ein Regieteam! So viel Lob war selten. Und so viel Aufatmen.
Tatsächlich besitzt die Sopranistin Cornelia Marschall am Ende dieses anstrengenden Abends noch die Kraft für ein verzweifelt glühendes Piano, lässt sie die Intensität ihrer zentralen Rolle im finalen Zusammenbruch eskalieren. Nicht weniger emphatisch hat Sabine Noack als stimmlich sehr präsente Mrs. Grose die Wandlung von der Freundin zur Feindin demonstriert. Das Handeln der Kinder lässt auf deren nicht näher erklärte Traumata schließen; Florian Ott und Hannah Fricke erfüllen ihre schwierige Aufgabe als erstaunlich selbstbewusst agierende Kinderdarsteller - er mit bezauberndem Knabensopran, sie mit feiner Mädchenstimme, die die Fragilität in Floras Wesen erschließt.
Wer die hautnahe Konfrontation mit einem irrsinnigen Stück nicht fürchtet, wird an der handwerklich soliden Einstudierung Gefallen finden. Für schwache Nerven ist sie nichts, obzwar die Bühne - die nachtblaue Ausstattung von Stefan Rieckhoff geht mit dem Szenischen Hand in Hand - kein Gruselkabinett imaginiert. An Seilen, die das Spielpodest analog zur seelischen Konstitution der Protagonisten zunehmend verspannen, baumeln die Insignien einer bürgerlichen Kindheit: Stickrahmen, Puppe, Holzkreuz, ein Zeigestock werden sukzessive abgepflückt.
Flora und Miles tun zunächst, was gewöhnliche Kinder auch tun. Doch dann entsteigen der Idylle des englischen Landguts sexuelle Verstrickungen, emotionale Konfusionen und ehemalige Hausangestellte - nur, dass die ungebetenen Eminenzen längst tot sind. Jana Eimer lässt ihre Gouvernante schon zittern, als noch gar nichts passiert ist. Ihre Arbeit enthält die klare, so eindeutig im Libretto nicht vorgesehene Entscheidung für die Psychose der Hauptfigur.
Diese Vorgehensweise harmoniert insofern mit den Möglichkeiten der Minibühne, als der mit enervierenden Vorgängen und Klängen überfrachtete Raum nicht auch noch durch Deutungen vollgestopft wird. Text und Musik waren der Debütantin offenbar Grusel genug, um das Publikum nicht mit Schauereffekten, Spukgestalten und Schattenspielen erschrecken zu wollen. Alle Figuren, auch die blicklos starrenden Untoten, tragen sehr menschliche Züge.
Gespenstisch ist eher das Selbstverständnis, mit dem man Brittens Opus in das Studio quetscht. Sicher, "The Turn of the Screw", wörtlich übersetzt "Die Drehung der Schraube", ist eine Kammeroper, aber muss man die Oper deshalb in der Kammer geben? Die Sänger strengen sich an, als sollten sie den großen Theatersaal füllen. Die Instrumentalisten sitzen wie aufgefädelt um das Bühnenquadrat herum, einen homogenen Klang stiftet das nicht. Immerhin nehmen sie im zweiten Teil die schreckhafte Erregung aus dem Spiel, und die Musik umfängt die wunden Seelen.
Luxuriöses Unternehmen
Die Besetzung zeigt ein luxuriöses Unternehmen. Sopranistin Allison Oakes, die die meisten Stimmfarben und Nuancen bietet, gastiert, ebenso Tenor Marian Albert als Quint. Sein gegen Ende gepresster Gesang lässt die Verlockung für Miles, mit dem er ins Totenreich wandert, wenig glaubwürdig erscheinen. Selbst Markus L. Frank, als musikalischer Leiter ein Routinier, ist im neuen Engagement. Solche Exklusivität muss man sich leisten können. Und wollen.
Nächste Vorstellung: Mittwoch um 19.30 Uhr